Navid Kermani: Große Liebe
Zwischen der Geschichte von zwei Jugendlichen in einer westdeutschen Kleinstadt Anfang der achtziger Jahre geht es um die (körperliche) Liebe als Gleichnis für die mystische Erfahrung, der Auflösung des eigenen Ichs in einer anderen, allumfassenden Subjektivität:
Statt in einer allgemeinen äußeren Umgebung wie im Drogenrausch löse sich Subjektivität in der sexuellen Verzückung in einem konkreten Gegenüber auf, in das der Liebende eindringe und das er zugleich umfange.
Hinterhergrübeln mit Ansage:
»Gott ist der Liebende, der durch die Bejahung ausgelöscht wird […] Die essentielle Wirklichkeit kann sich nur dank der Handlung des Dieners ereignen, also handelt es sich um eine Auslöschung Gottes. Das verstandesmäßige Argument kann ebenso wie die intuitive Erkenntnis lediglich zum Dasein Gottes gelangen, nicht zum Dasein des Dieners und auch nicht der geschaffenen Welt. Hingegen in der Schau ist die Bejahung Gottes zugleich Seine Auslöschung in der Welt der Erscheinungen.« Mir ist klar, daß die Stelle am schwersten zu verstehen ist für den, der an Gott glaubt und der nicht an Gott glaubt. Ich bitte den Leser, sie dennoch zu beachten, sie nötigenfalls wieder und wieder zu studieren oder am hundertsten Tag noch einmal sich vorzunehmen. Denn sie enthält den Kern meiner und auch deiner Geschichte, wann und wo immer du jemals groß geliebt, nur daß Gott in Wirklichkeit leicht enttäuschende Namen trägt. Und nur wenige wissen, wozu die Entdeckung gut ist.