16.10.2020

Im chinesischen Internet gibt es den Ausdruck 報復性熬夜, wörtlich übersetzt: „als Vergeltung die Nacht duchleiden“, oder etwas griffiger: „revenge bedtime procastination“. Damit ist gemeint, nicht zu schlafen, obwohl man müde ist und schlafen könnte und wahrscheinlich auch besser sollte. Schlaftrotz. Das kenne ich sehr gut. Nicht, weil ich etwas gegen Schlaf habe, oder mich vor Albträumen fürchte, sondern weil Schlafen zu gehen bedeuten würde, die freie Zeit vor dem Schlafen aufzugeben. Die unbeobachtete, stille und dunkle Zeit, wenn der Tag hinter mir liegt, alles erledigt ist, was an dem Tag mit meinen Kräften möglich war, wenn alle Mahlzeiten verzehrt sind und nichts mehr passieren muss, außer irgendwann die Augen zuzumachen. Diesen Moment aufzugeben fällt mir sehr schwer. Dass ich statt zu Schlafen erschöpft durch Instagram, Twitter und YouTube scrolle, bis ich die Augen wirklich nicht mehr offen halten kann, lässt sich mit dieser Bezeichnung als Rache des Egos an der anscheinend nicht freiheitlich erlebten Wachzeit begreifen. Etwas sinnvolles könnte ich in dieser Zeit gar nicht tun. Weil ich viel zu müde dafür bin und weil es dann die Freiheit sinnloses zu tun, gar nicht nutzen würde. Die Berieselung muss als solche erkennbar sein.