Monat: Oktober 2019

17.10.2019

Es gab eine Zeit – die dunkle Vorzeit – irgendwann zwischen dem Ende des Walkmans und den ersten 5000 Watt Bluetoothboxen, da ging das Gerücht um, man könne In-Ear Kopfhörer oder blecherne Handylautsprecher in beeindruckende Soundsysteme verwandeln, wenn man sie nur in der richtigen Höhe in die richtige Schüssel hält. Manchmal muss ich daran denken, wenn ich Morgens ins Klo pupse. Wir lagen nicht ganz falsch.

16.10.2019

Nachdem ich gestern nach einem Bild gesucht habe, um die emotionale Arbeit einer Beziehungssituation erzählbar zu machen, habe ich heute mit dem Bild einer Beziehung von der emotionalen Dimension einer schwierigen Gruppensituation erzählt. So als würde ich heimlich die Unterhose vom Vortag auf links gedreht noch einmal tragen.

Erst die Vorstellung des kleinen Kobolds, der hektisch Welt und Seele sortiert macht alles ertragbar. Der Überschuss an Sinnbildung, mit dem Ich im Schlepptau.

15.10.2019

Zu einer guten Wandertour gehört es, an irgendeinem Punkt des Aufstiegs den Berg zu verfluchen. Aber solange man am Abend glücklich und erschöpft vom Tal auf den Gipfel starrt, stellt sich die Frage nach dem Meer gar nicht.

Romantische Naturmetaphern sind bei uns jungen, nach Resonanz lechzenden Stadtmenschen ja gerade wieder schwer in Mode. Rücksichtlose Feiglinge können sich so ihr schlechtes Gewissen zurechtpoetisieren und ihre Angst von der Banalität und Alltäglichkeit emotionaler Arbeit hinter Bildern verstecken, die größer sind als ihre WG-Zimmers.

14.10.2019

Navid Kermani: Große Liebe

Zwischen der Geschichte von zwei Jugendlichen in einer westdeutschen Kleinstadt Anfang der achtziger Jahre geht es um die (körperliche) Liebe als Gleichnis für die mystische Erfahrung, der Auflösung des eigenen Ichs in einer anderen, allumfassenden Subjektivität:

Statt in einer allgemeinen äußeren Umgebung wie im Drogenrausch löse sich Subjektivität in der sexuellen Verzückung in einem konkreten Gegenüber auf, in das der Liebende eindringe und das er zugleich umfange.

Hinterhergrübeln mit Ansage:

»Gott ist der Liebende, der durch die Bejahung ausgelöscht wird […] Die essentielle Wirklichkeit kann sich nur dank der Handlung des Dieners ereignen, also handelt es sich um eine Auslöschung Gottes. Das verstandesmäßige Argument kann ebenso wie die intuitive Erkenntnis lediglich zum Dasein Gottes gelangen, nicht zum Dasein des Dieners und auch nicht der geschaffenen Welt. Hingegen in der Schau ist die Bejahung Gottes zugleich Seine Auslöschung in der Welt der Erscheinungen.« Mir ist klar, daß die Stelle am schwersten zu verstehen ist für den, der an Gott glaubt und der nicht an Gott glaubt. Ich bitte den Leser, sie dennoch zu beachten, sie nötigenfalls wieder und wieder zu studieren oder am hundertsten Tag noch einmal sich vorzunehmen. Denn sie enthält den Kern meiner und auch deiner Geschichte, wann und wo immer du jemals groß geliebt, nur daß Gott in Wirklichkeit leicht enttäuschende Namen trägt. Und nur wenige wissen, wozu die Entdeckung gut ist.

13.10.2019

Beim Spaziergang mit Nervenschokolade in der Hand tropft es von meiner Nasenspitze. Drei Flüssigkeiten kommen in Frage:

  1. Blut
  2. Schleim
  3. Regentropfen

Meine Aufgabe beschränkt sich heute auf den kontrollierenden Blick ins das getupfte Taschentuch. Und mitleiderregend Tee schlürfen natürlich.

12.10.2019

Das genetische Bäuchlein unterscheidet sich vom saisonalen Bäuchlein in dem es sich schon am Herbstanfang, noch vor den Marzipankartoffeln präsentiert.

11.10.2019

Mic Check, Mic Check, am Holocaust-Mahnmal laufen wir still vorbei, nicht schnell, still. Weitersagen. Still, nicht schnell. Es wird nicht mal geflüstert, so diszipliniert sind die wir Hippies vor Ohnesorg. Die älteren Herren mit Stoffbeuteln der AfD Bundestagsfraktion am Straßenrand wissen nicht wie sie reagieren sollen, also filmen sie.  Zwei Kreuzungen weiter beginnen die ersten wieder zu summen und pfeifen, eine Kreuzung weiter wird daraus ein klatschen und singen: „We are rising up … join the rebellion“ auf die Meldodie von „Hejo, spann den Wagen an“. Ergriffenheit und Peinlichkeit liegen ganz eng beieinander, aber demonstrierte Harmlosigkeit ist Teil der Deeskalationsstrategie.