Monat: Oktober 2022

17.10.2022

In meinem Horoskop steht heute ein Blondinenwitz. Das ist besonders verwunderlich, weil es eine amerikanische App ist. Eigentlich ist es auch nur ein halber Blondinenwitz, denn die Pointe fehlt. Das macht es noch verwirrender. Vielleicht sind sich zwei Apps im Speicher in die Quere bekommen. Vielleicht steht jetzt irgendwo eine einsame Pointe und fühlt sich unverstanden:

„Today, your emotions feel like a big rollercoaster. Go with the flow. Respond with spontaneity. You already know how to handle friction, and that’s a start. Denn warum braucht sich eine Blondine nicht vor der Zukunft zu fürchten?“

Ja, warum?

16.10.2022

„Oder …“
„Mmh?“
„Oder wir machen das alles nicht und gehen jetzt stattdessen indisch Essen und spazieren danach mit einer großen Schleife durch den Tiergarten zurück.“
„Ja, das klingt sehr weise.“

Eine Entscheidung, in nur wenigen Sekunden getroffen, die den Verlauf des weiteren Tages entscheidend beeinflussen sollte. Zu diesem Zeitpunkt konnten sie noch nicht ahnen, dass sie später am Abend jedoch über eine Stunde brauchen würden, um eine Serie auszusuchen und schließlich doch bei Game of Thrones einzuschlafen.

15.10.2022

In der Familienküche unten gibt es das erste Frühstück, deutsch-mexikanisch, mit Brötchen, aber auch mit Ei und Salsa auf Tortillas, einem nuschelnden Teenager und einem Kleinkind, das zwar schon die Verwendung, aber nicht die Funktion eines Salzstreuers verstanden hat.

Für das zweite geht es wieder hoch in unsere Küche, die plötzlich ziemlich farblos wirkt, was vielleicht aber auch an den verkaterten Gestalten um den Esstisch liegt. Es gibt eine abgespeckte Variante eines englischen Frühstücks. Vegan, aber dafür mit Sekt.

Tief in die Barcelona-Sessel der Neuen Nationalgalerie gesackt suche ich in meiner Manteltasche nach dem dritten Frühstück. Ein junger Mann steht in einem Flügel, schiebt ihn durch die Halle und spielt dabei Variationen der Ode an die Freude. Vielleicht ist es auch ein Mittagessen, wichtig ist nur, dass der Rhythmus aufrecht gehalten wird. Ich finde einen Apfel und eine Packung Nüsse.

14.10.2022

Forscher:innen haben herausgefunden, dass die Vögel rund um den ehemaligen Flughafen Tegel jetzt wieder später anfangen zu singen, weil sie nicht mehr in Konkurrenz zu den ersten Fliegern stehen. Ich höre am Flughafensee vor allem die Bluetoothbox eines Manns, der mit Hund und Bier auf das Wasser starrt. Ich habe eine Thermoskanne Tee, ein Käsebrot und ein Buch dabei. In Filmen sieht das immer sehr nachdenklich und geheimnisvoll aus, wenn diese Männer da am Ufer stehen und sitzen, aber wenn niemand hinsieht, dann sind auch sie heimlich am Handy. Männer gehen aufs Klo, Frauen in die Wanne, stand mal in der Süddeutschen Zeitung. Plumpsen lassen oder selber eintauchen. So ein See ist ja ein Rückzugsort, aber auch auf einer öffentlichen Toilette ist es schwer sich zu entspannen, wenn zwei Kabinen weiter Lärm gemacht wird.

13.10.2022

Hinter mir steht eine Frau Schlange, um auch aus diesem Winkel zwischen den Büschen ein Bild von diesem einen Baum zu machen, der da am Rande des Hansaviertels herbstlich im Abendlicht leuchtet. Sie hat einen österreichischen Akzent, so viel erkenne ich, und weil ich sie mir als Wienerin vorstelle, bin ich ein bisschen stolz, dass Berlin auch solche hübschen Ansichten zu bieten hat. Inzwischen ist der Baum ganz rot geworden. Auch er ist es eher gewohnt, dass die Häuser fotografiert werden. Nur im Frühjahr und jetzt im Herbst stiehlt er dem Beton die Show. Eigentlich vorhersehbar, aber es ist jedes Mal neu aufregend.

12.10.2022

[…] Am Ende der Sitzung geht es dann um kreativen Ausdruck, Loslassen und die Wahl des Mediums oder eher wie das Medium auswählt. Für die eine ist es Lehm oder Ton, der die Hände umschließt, – wenn sie es zulässt – und feuchte Spuren hinterlässt. Für den anderen ein Baumstumpf aus dem Wald, dem er mit präziser Kraft eine Form abringt, um festzustellen, dass das Holz viel weicher und beweglicher ist, als er es mit den Werkzeugen behandeln wollte. Und ich bin mir gar nicht so sicher, steckte im Text zu sehr im Handwerk und denke an den Ton, den ich unabsichtlich beim Staubwischen auf den Tasten des Klaviers auslöse oder das Schnarren der Gitarrensaiten, als ich mein Unterhemd vom Bett in Richtung Wäscheberg werfe und knapp verfehle.

11.10.2022

Ich kann Deutsch, Englisch, mit dem linken Ohr wackeln, freihändig Fahrrad fahren und überkompensieren, wenn es darum geht, die Abhängigkeit vor nähegefährdenden Stressmomenten nach unabsichtlichen Verletzungen durch theoretische und emotionale Vorbereitung zu sichern, aber ich bin mir nie sicher, in welche Spalte des Lebenslaufs das gehört. Ich tendiere zu Arbeitserfahrung.