Monat: Oktober 2022

10.10.2022

Ich mag meinen Zahnarzt. Die Mitarbeiterinnen in seiner Praxis nicht so sehr, aber das ist eine andere Geschichte. Heute war ich sein erster Patient nach der Mittagspause. Das weiß ich, weil er mir die Tür aufschließen musste. Schon da bemerkte ich, was mich einige Minuten später vor Angst erstarren ließ. In diesem Moment hätte ich eigentlich bereits eingreifen müssen.

Dass mein Zahnarzt seine Maske nicht ganz über die Nase gezogen hatte, darüber hätte ich ja vielleicht noch hinwegsehen können, aber nicht über den Popel, der an seiner Nasenspitze hing. Mein Instinkt in solchen Situationen ist normalerweise höflich wegzusehen, was hier natürlich nicht weit genug gedacht war. Meine Verdrängungsleistung rächte sich umgehend. Als er sich über meinen weit geöffneten Mund beugte, war es bereits zu spät, um aus der Sache wieder herauszukommen, ohne dass es für uns beide unangenehm werden würde. Nervös starrte ich auf den Popel und hoffte auf seine Klebkraft. Ich glaube, meine Zähne sind in Ordnung, aber ich habe nicht zugehört.

09.10.2022

sozialverkatert und vollmondschwellentrunken
widerstandsgelockert offenen Auges in den blockadekreisel
und dann innerlich trotzend, äußerlich geknickt
wieder hinaus durch die scherben
ganz vorsichtig, sehr richtig so
aber jetzt halt auch zu spät

08.10.2022

Das Geburtstagskind hat sich gewünscht, dass wir zu einer 90er-Party gehen. Wer will da widersprechen. Am Eingang gibt es Knicklichter und „Original Süßigkeiten der 90er“, aber dafür ist das MAOAM noch erstaunlich einfach zu kauen. Der DJ ist ebenfalls ein Original, denn er war mal Moderator auf VIVA und ist hier für die gute Laune zuständig. Bei dieser Musik geht es nicht um gute Übergänge, sondern um Textsicherheit und das Kreischen bei den ersten Takten. Erst wundere ich mich, warum es auf der Tanzfläche so hell ist, aber dann verstehe ich: Nach dem Kreischen ist vor dem nächsten Foto.

07.10.2022

Ich habe Tickets für eine Biodiversitätsshow gewonnen, was nichts anders ist als ein moderner Diavortrag mit hochauflösenden Videos und elektronischer Livemusik, aber es scheint zu funktionieren, denn die Frau aus der Senatsverwaltung sagt, dass sie selten so ein junges Publikum in diesem Saal gesehen hat. Das heißt, durchschnittlich unter 40 – fehlen also nur noch die 47 Millionen Deutschen, die älter sind.

Die Show ist so aufgebaut, dass sich beeindruckende Bilder und Fakten mit Schreckensmeldungen und Musikpassagen abwechseln. „Jetzt genießen wir zum nächsten Stück aber erst mal die wunderbare Welt der Vögel“, sagt sich so einfach, aber wenn ich in Gedanken noch bei Versiegelung, Ackergiften und dem Insektensterben bin, sehe ich in der Schönheit nur den Verlust. Das ist die wichtigste Lektion und die gibt es gleich am Anfang: Biodiversität ungleich Artenvielfalt, aber mit beidem sieht es sehr schlecht aus. Im Laufe des Abends knibbel ich mir die Haut neben den Fingernägeln blutig, als würde das irgendetwas daran ändern.

06.10.2022

Der letzte Schliff:

„Alle Antworten ohne Gewähr. Die hier enthaltenen Aussagen sind nicht als Angebot oder Empfehlung bestimmter Anlageprodukte zu verstehen und stellen keine Rechtsberatung dar. Es wird weder ein Versprechen abgegeben, dass Heilung oder sonstiger Erfolg stattfinden wird, noch sind bei der Produktion Tiere zu Schaden gekommen.“

05.10.2022

Die Wände des Yogastudios in dem wir für die Gruppentherapie im Kreis sitzen erinnert mich an die Buttercreme der Mandeltorte, die ich am Wochenende gebacken haben und die wiederum an die Kuchentafeln, an denen ich als Kind gesessen und den Erwachsenen zugehört habe. Jetzt bin ich nicht nur selber erwachsen, sondern backe auch selber die Kuchen und trotzdem zögere ich etwas zu sagen, bevor ich nicht halbwegs sicher bin, dass ich den Gesprächsfluss nicht störe, sondern etwas schlaues, unterhaltsames oder nachdenkliches, auf jeden Fall unbedingt etwas bis zum Satzende gedachtes beizutragen habe. Die anderen sagen, dass das nicht notwendig sei und ich stimme ihnen zu. Während ich hier täglich versuche Dinge zusammenzuschnüren, übe ich im Torteninneren jede Woche Dinge aufzumachen und so sein zu lassen. Als ich nach Hause komme, ist die neue Zwischenmieterin da. Sie kommt aus der Nähe von Frankfurt. Frankfurter Kranz, na klar.

04.10.2022

Ich bin einer Schnoddermaschine. Von so einer Effizienz träumt man in der Industrie. Aus meiner Nase läuft mehr Schleim pro Minute, als Gas aus dem Loch in den Nord Stream Pipelines kommt. Einsatzteams der Stadtreinigung stehen mit Lastwagen in unsere Straße Schlange. Das Technische Hilfswerk ist mit Pumpen aus mehreren Bundesländern im Einsatz. Aus der Politik gibt es den ersten Vorschlag, meine laufende Nase einzusetzen, um damit stillgelegte Braunkohlegruben zu füllen. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung fragt, ob meine Schleimproduktion einen Einfluss auf den Krieg in der Ukraine haben wird, aber ich bin dagegen, eine Erkältung so zu dramatisieren.