Monat: Dezember 2022

Ich zahle zwölf Euro für fünf Croissants bei einer Backmanufaktur in Schöneberg und die Verkäuferin überreicht sie mir mit einer überschwänglich entwaffnenden Freundlichkeit und Überzeugung, als wären darin die Schlüssel für die soeben von mir erstandene Villa mit eigenem Seezugang.

Herzlichen Glückwunsch, dieser Kauf war die absolut richtigste Entscheidung ihres Lebens und die einzig vernünftige, die sie jetzt überhaupt nur treffen konnten.

Ich nehme die fein säuberlich gefalteten Tüte aus schwerem Papier demütig entgegen und trete zurück auf die Straße, stets darauf bedacht, der leuchtenden Auslage dabei nicht meinen Rücken zuzuwenden. Auf dem Bürgersteig wartet eine Traube Menschen schweigend und mit gesenkten Kopf darauf, dass auch ihnen Einlass gewehrt wird. Als ich die Türe öffne, versuchen sie etwas von dem Duft zu erhaschen, der mit mir aus der gläsernen Backstube entwischt ist. Die Tüte an meine Brust geklammert eile ich in Richtung Straßenecke.

[…]
and the universe said you are not alone
and the universe said you are not separate from every other thing
and the universe said you are the universe tasting itself, talking to itself, reading its own code
and the universe said I love you because you are love.
[…]

Minecraft, ein Spiel das über 200 Millionen mal verkauft wurde und dann selber für 2,5 Milliarden US-Dollar an Microsoft ging, endet mit einem Gedicht. Das Gedicht hat die Form eines scrollenden Dialogs zwischen zwei Stimmen, die behaupten der Rest des Universum zu sein. Der Dialog dauert 7 Minuten und 42 Sekunden. Danach kommen die Credits.

Geschrieben wurde das Gedicht von Julian Gough, einem irischen Autor, der dafür nie angemessen bezahlt wurde: „I wrote a story for a friend. But in the end he didn’t treat me like a friend. And I’m hurt.“

Meine eine Mitbewohnerin übt am Klavier gerade Early Riser, einen der Standartsongs, die man im Wecker des iPhones auswählen kann. Mich stört das nicht, ich habe kein iPhone. Meine andere Mitbewohnerin schon. Aber ich liebe diesen Bruchteil einer Sekunde in ihrem Gesicht, bis sie sortiert hat, woher die Melodie gerade kommt und was sie zu bedeuten hat.

Immer wieder ins Stocken geraten. Immer wieder Kontexte auseinanderfalten und sortieren.

Noch ganz im Moderationsmodus moderiere ich einfach weiter. Ich moderiere den leichten Hunger weg, durch die Therapiegruppe und den Straßenverkehr hindurch und auch YouTube moderiere ich gleich mit.

Vielen Dank, kommen wir nun zum nächsten Programmpunkt. Ich freue mich sehr, die elektrische Zahnbürste heute in meinem Mund begrüßen zu dürfen. Aber sie kommt nicht allein. Mit im Gepäck hat sie heute Paradontax Complete Protection! Was für eine Überraschung! Herzlich willkommen!

In der zweiten Hälfte der Nacht wache ich alle 45 Minuten auf und denke kurz, dass es jetzt ja wohl leider Zeit zum Aufstehen sein müsste. Mein Körper kommt mit der fehlenden Morgensonne immer noch nicht klar. Das Licht muss durch Disziplin ersetzt werden. Bestimmt gibt es da eine Umrechnungstabelle. Eine andere Erklärung für meine Schlaflosigkeit ist, dass der Nikolaus bei der Arbeit dieses Jahr besonders viel Lärm gemacht hat, weil schon wieder die Zahl an Lieferungen erhöht wurde, die er in einer Schicht schaffen muss. Überstunden werden nicht bezahlt. Dabei habe ich gar keinen Stiefel vor die Tür gestellt. Aber auch keine Schokolade besorgt, um andere Stiefel zu füllen. Vielleicht ist es das. Der Bischofsstab juckt.

Auf dem Küchentisch die Spuren des Wochenendes. Eine Schüssel mit Krapfen, die wir auf dem Balkon ausgebacken haben und trotzdem wird der Raum noch einige Tage danach riechen. Ein Blumenstrauß vom Übernachtungsgast, den ich nur ein paarmal kurz gesehen habe. Ein Flyer vom dezentralen Weihnachtsmarkt. Ein Adventskalender mit Lakritzpralinen. Kerzenwachsflecken, Krümel und eine immer wieder auseinander gepflückte und umgefaltete Wochenzeitung neben der Werbung und den verschiedenen Gratisheften, die mit ihr gekommen sind.

Ich habe Zutaten für Krapfen und für Waffeln besorgt.
Für beides?
Ja, ich dachte, dann können wir entscheiden.
Schwierig.
Krapfen sind natürlich etwas Besonderes.
Aber Eis und Kirschen wären auch schön.
Eis und Kirschen zu Krapfen wäre aber seltsam.
Schwierig.
Oder …
Na ja, beides ginge natürlich auch.
Ok.
Sicher?
Ja!