Eine Frau vom Förderverein verkauft bei gutem Wetter freitags im Hof der Bibliothek Kaffee und kleine Snacks. Die meiste Zeit ist sie mit dem Auf- und Abbau beschäftigt, geht Mehrwegbecher ausspülen oder erklärt, dass ja eigentlich die Preise angehoben werden müssten. In die ritualisierten Konflikte der Rentner, die hier in ihren Routinen kollidieren, mischt sie sich nicht ein.
Jahr: 2025
03.04.2025
Aus Termingründen bereits am Nachmittag den späten Abend simulieren, um später nichts verpasst zu haben. Plüschhose, Salzstangen, eine besonders ungesunde Bildschirmposition und das schlechte Gewissen, nichts zu lesen und eigentlich schlafen zu müssen.
02.04.2025
das lidl smart home ist gar nicht so smart
und meine neuen muskeln noch längst nicht so hart
zählt ein zufallsherz schon als latte art
ist es ganz oder gar nicht
oder reicht schon der start
01.04.2025
Der einzige Aprilscherz, auf den ich hereinfalle, kommt ausgerechnet vom Bezirksamt. Eine Wildbrücke über die Straße des 17. Juni für die Biber im Tiergarten? Ich bin empört und begeistert von so viel Konsequenz und Durchsetzungswille gegenüber Sichtachsenfetischisten und Veranstaltungsverdienern. Aber wie hält man Menschen von der Brücke fern? Wäre ein Tunnel nicht praktischer? Ein Rohr, das die Gewässer verbindet, gibt es ja auch schon. Aber warum … ? Moment mal.
31.03.2025
Ich trage eine lange geknickte Drahtstrebe um den Hals. Es ist maximal unpraktisch, aber so ist Mode eben. Sie ist beim Wäscheaufhängen aus dem Ständer gebrochen und seitdem trage ich sie so durch die Wohnung, weil sie zu lang für den Restmüll ist, aber wenn ich zu viel darüber nachdenke, vielleicht sogar ins Altmetall gehört. Ich kollidiere mit Türrahmen, sie stört mich beim Tippen, piekse mir selber in die Arme, ständig muss ich sie zurechtrücken, es sieht schrecklich albern aus, aber sie umklammert so schön bestimmt und sanft schwingend meinen Hals.
30.03.2025
Flohmarktfund und Dönermund
Das riecht nach einer Party, die ich nie gefeiert habe
Schmuck, noch warm aus dem 3D Drucker
das Buch über die Kinderfrage als einziges mit dem Rücken zur Wand
Post-it Fahnen schwenkend aus dem Gespräch ausgeschlossen
Noch jemand Tee?
29.03.2025
Auf zur Leipziger Fluchmesse, hier gibt es Verwünschungen und Hokuspokus in allen Formen, Farben und Preisklassen, ernste alte Weißweinmagier und queere TikTok Hexen, osteuropäische Zauberspruchübersetzerinnen und natürlich Jugendliche in aufwendigen Verwandlungen.
Mein Über-Ich liegt weit weg am Strand in Gewissenhaft, während wir uns an der langen Schlange vorbeischmuggeln. Lyriklesungen gefallen mir halt einfach immer noch am besten unter Messehallenbedingungen, wenn die Poetin ihre eigene Stimme kaum hören kann und ich eigentlich seit einer halben Stunde dringend auf Klo muss.
Auf dem Heimweg noch schnell zu einer Heartbreak-Lesung in den Leipziger Osten, den Coolnessdurchschnitt senken, denn wer einmal die Schuhe wieder auszieht, hat verloren. Nach jedem Text fragt die Moderatorin zur autofiktionalen Beglaubigung nach dem aktuellen Herzenszustand der Vortragenden. Immer, wenn es nicht mehr gebrochen ist, wird applaudiert.