21.05.2022

Morgentoilette. Im Bad schließe ich noch schnell mein Handy an das Radio im Schrank an. Auf Soundcloud begrüßt mich ein neuer Mix von OTHER PEOPLE, dem Label von Nicolas Jaar. Perfekt. Der Mix heißt „Would It Sound Just As Bad If You Played It Backwards?“ und fängt ohne Intro direkt an. Es zischt und knarrt und rauscht aus den Lautsprechern, begleitet von einem tiefen Dröhnen, das langsam lauter und leiser wird. Interessant. So wörtlich hatte ich den Titel gar nicht verstanden. Es klingt wirklich schlimm. Aber doch irgendwie spannend, denke, ich während ich den Bart trimme. Das Geräusch des Rasierapparats fügt sich auch ganz gut in die Klangfläche ein. Rückwärts abgespielt wäre das ja genauso ein Dröhnen. Während ich die Rasiercreme im Gesicht aufschäume, muss ich an das erste Drone/Noise Konzert denken, in das ich junger Erwachsener geraten war. Eine 30 Minuten lange hämmernd sägende Wand aus Rauschen, hart an der akustischen Schmerzgrenze in einem dunklen Raum, in dem nur die Synthesizer der ausdruckslosen Performer beleuchtet waren. Nach etwas mehr als der Hälfte der Zeit hatte ich geschafft, mich auf das Erlebnis als sinnliche Überforderungserfahrung einzulassen und begann die Nuancen des Lärms zu entdecken. Schon fünf Minuten später wollte ich dann aber nur noch, dass es endlich vorbei ist. So schlimm ist dieser Mix nicht, aber doch eine Herausforderung. Eine Herausforderung, die ich annehme, beschließe ich und drehe, bevor ich die Dusche steige, noch mal lauter. Am Radio fällt mir dann mein Fehler auf. Ich hatte den Drehknopf nicht bis nach AUX gedreht, sondern nur bis AM. Das FM-Rauschen hätte ich erkannt, mit UKW bin ich aufgewachsen, aber für Mittelwelle bin ich dann doch zu jung. Peinlich. Aber auch genau das, worüber ich mit J. noch vor ein paar Tagen gesprochen hatte. Um dazuzugehören und um sich locker für die Kunst zu machen, wird oft nicht nur der Mantel an der Garderobe abgegeben. Gleich der ganze Kopf.