Jahr: 2022

03.07.2022

Sommerhitzestöhnen unter den wenigen Schattenplätzen auf dem Tempelhofer Feld. Warum wir uns nicht in Moabit oder im Wedding getroffen haben, wo die meisten von uns wohnen, fragen wir uns, aber dahin wären die Neuköllner vielleicht nicht gekommen. Wir sind entgegenkommend und die Strecken gewohnt, sie sind vor allem zu spät. Aber eigentlich sind alle zu spät, selbst ich, und ich bin der erste am Trefffpunkt. So funktioniert das. Ich sage 15:00 Uhr, weil ich weiß, dass um 16:00 Uhr dann ein paar Leute da sein werden, kann es aber selber nicht übers Herz bringen, erst dann zu kommen, also suche ich schon mal einen Platz, teile den Standort und richtige die Helmschweißfrisur.

Beim Warten kommt eine alte Mitschülerin vorbei, die mit ihrem Freund und „den Kindern“ gerade vom Brunch kommt, was sie wie „seine Kinder“ betont, aber aus ihrem Mund trotzdem nach Zugehörigkeit und Verbindlichkeit klingt. Das finde ich sehr nett und erwachsen, aber irgendwie auch befremdlich. Während ich mich an die Eltern um mich herum gewöhnt habe, stammt mein Bild des neuen Partners in so einer Konstellation noch aus der Zeit, wo mindestens eine Generation Abstand herrschte. Dass wir seit der Oberstufe kaum Kontakt hatten, verstärkt den Effekt sicherlich. Dann sprechen über das anstehende Abitreffen und zum Abschied wünschen wir uns gegenseitig nicht zu verbrennen. So funktioniert das.

02.07.2022

Sommergrillenzirpen, Kieswegknirschen und Heideglühenbässe. Ich radle meinen Buffetbauch vom Strandbad zum Verdauungstee und warte auf die Klingel. Wenn es schon auf dem Bett allein zu warm und stickig ist, warum dann nicht darin zu zweit.

01.07.2022

Eine sehr gute Cocktailparty mit sehr schlecht (also gar nicht) kommunizierter Anfangszeit, leckerem Essen und garniert mit einer Prise Millenialberliner Unverbildlichkeit. Wie das Wetter zunächst durchwachsen, aber dann doch sehr wohltuend.

30.06.2022

Von wegen kontemplativer Groove, die Tanzstunde fühlt sich bei den Temperaturen eher wie ein Aerobic-Kurs in einer türkischen Ferienanlage an. Nicht, dass ich jemals in einem Aerobic-Kurs, der Türkei oder einer all-inclusive Bettenburg mit Unterhaltungsprogramm gewesen bin, aber als Tatort-Autor muss man auch noch nie Kontakt mit der Polizei gehabt haben und an der Primetime wird trotzdem die Welt vermessen.

29.06.2022

Rumsitzen und Fleischspieße im Sandwich essen, rumsitzen und hausgemachten Eistee trinken, rumlaufen und am Fladenbrot mit Nutella knabbern, rumsitzen und vom Kuchen naschen und dann wieder rumlaufen und doch nicht mehr Poutine probieren, denn gestern in der Kneipe gab es schon Pommes, und zu den Fleischspießen heute gab es auch Pommes und zum Abendessen gibt es ebenfalls Kartoffeln und Chips sind auch noch in der Kammer (und vielleicht auch ein Kartoffelschnaps) und wie viel Kartoffelstärke kann ein Mensch eigentlich vertragen, bis aus Blut Bratensoße wird und mit den Gedanken sämig gebunden zum Abschmecken aus dem Schnitt am Finger quillt.

28.06.2022

Noch tief in Tiermetaphern verstrickt, radele ich zur Mitgliederversammlung der Grünen und überlege, ob die Flecken auf meinem hellen Hemd mit diesem Outfit eher aktiv-verwegen oder achtlos-unrein wirken, aber wenn man sich sowas schon fragt, ist die Antwort eigentlich klar: Wahrscheinlich fallend sie gar nicht auf.

Mit zunehmendem Parteialter nimmt auch die Zahl der Nachrufe zu. Wie das wohl in der SPCDU aussieht? Nur noch Bier und Erinnern. Erinnern und Bier. Passenderweise sitze ich dann am Tisch, an dem es heute um Erinnerungskultur geht. Der Bezirk Mitte steht seit ein paar Jahren nämlich unerwartet an der Front zwischen koreanischer und japanischer Geschichtsaufarbeitung. Jetzt soll lieber ein allgemeineres Denkmal für Opfer sexualisierter Gewalt in kriegerischen Opfern her, über die wurde in Deutschland seit dem zweiten Weltkrieg ja auch lieber geschwiegen.

27.06.2022

Im Internet steht, es wäre gut, der Pflanze ein „Rankangebot“ zu machen und ich bin direkt neidisch. So was will ich auch. Einen großen Bambuspfahl, der immer da in den Boden gerammt steht, wo ich Halt mache und an den ich mich lehnen kann, wenn ich müde werde. Ohne Draht und Schnüre, ohne Zwang, sondern eben als Angebot zum Wachsen und Halten, zum Ausruhen und als Ausguck.

Wahrscheinlich ist das der Preis dafür, selber entscheiden zu können, wo wir den Turm, Obelisken oder Totempfahl errichten, um den wir unsere Hütten bauen. Oder müssen uns gegenseitig nach oben helfen. So ganz entschieden bin ich mit der Moral der Geschichte nicht.