Weil die Sprachtherapeutin mir aufgetragen hat, Haikus vorzulesen, sehe ich jetzt selber überall welche:
Sonne am Stadtseeufer.
Fast zwei Minuten schaffe ich
mit Neoprensocken.
Das Entscheidende ist die Atmung.
seit 2016 [2009]
Weil die Sprachtherapeutin mir aufgetragen hat, Haikus vorzulesen, sehe ich jetzt selber überall welche:
Sonne am Stadtseeufer.
Fast zwei Minuten schaffe ich
mit Neoprensocken.
Das Entscheidende ist die Atmung.
Der erste Haustürwahlkampf beginnt mit einem afrikanischen Exilautor und einer Geschichte von Folter und Verfolgung. Direkt gegenüber treffen wir auf eine ältere Frau, die erst die Tür sofort wieder schließen will, aber auf die Verkehrsberuhigung in der Straße angesprochen doch ins Erzählen kommt. Lebensgefährlich sei die, sie habe schon von Krankenwagen gehört, die gar nicht wüssten, dass man nur noch von der einen Seite in die Straße kommt. Sobald jemand von uns mal einen Notfall in der Familie habe, werden wir schon sehen, wie kurz gedacht das sei und überhaupt, das Viertel sei ja nicht mehr wiederzuerkennen. Darum sollte sich die Politik kümmern. Die richtige Vielfalt eben, wieder mehr deutsche Geschäfte und weniger Dönerbuden.
Das müsse man halt Vorgaben machen, es gäbe schon genügend, und das flüstert sie fast, Schwarzköpfe hier.
Ich habe mal versucht, eine Fernbeziehung mit Slack zu retten, schon lange bevor der Knock Brush zum verhassten Wecker der digitalen Arbeiterklasse wurde, aber das war nicht der notwendige Performanceimpuls, um die Insolvenz am Ende des Beziehungsquartals abzuwenden.
Nach dem gemeinsamen Bücherregal war der aufregendste Teil des Zusammenziehens der geteilte Google Kalender, die Splitwise Gruppe Haushalt, die synchronisierte Einkaufsliste und fast zwei Jahre später jetzt das gemeinsame ToDoist Projekt.
Im nächsten Stand-Up können wir dann gerne einen Progress Review der Task im Board Wohnungssuche machen, bereitest du da einen kurzen Input vor? Ich bin ja durchaus bereits alle Lebensbereiche den Markt- und Projektlogiken zu unterwerfen, aber dann bitte auch mit den richtigen Tools.
Es gibt keine schönen Wintertage in Berlin. Es gibt nur sonnige Tage, die zu dem größten Herpesausbruch seit Jahren führen und dazu, dass ich mir von der Abscheulichkeit meines Lippenwinkels abgelenkt beim Rasieren in die Nase schneide und minutenlang versuche, ein Pflaster so zu platzieren, dass die Blutung gestoppt wird und ich trotzdem irgendwie noch Luft bekomme.
Innerhalb des letzten Jahres haben im Viertel drei neue Cafés eröffnet und bei der Hausverwaltung gibt es neue Verträge wegen der anstehenden Premiumsanierung nur noch befristet. Damit ist mein Job hier getan. Die Gentrifizierungsprämie ist auf dem Konto, ich kann mich endlich wieder normal anziehen, das Lastenrad zurück gegen das Auto tauschen und Hafermilch hat mir eh nie geschmeckt.
„We listen and we don’t judge“ ist von TikTok im Wahlkampf angekommen. Non-judgmental Listening ist das heiße Ding an den Türen. Wenn’s bei der KPÖ und in der LGBTQIA+ Communityarbeit klappt, warum dann nicht auch in Berlin-Mitte. Der Duktus erinnert mich zwar immer ein bisschen an ostentativ einfühlsame Performanceeltern auf Instagram und handfeste Antifa-Arbeit ersetzt das verständnisvolle GFK zunicken auch nicht, aber wir nehmen freudig jedes Hoffnungsangebot von der Wissenschaft entgegen.
Müllerstraße, minus 2 Grad. Von der Frau, die sagt, sie hätte Angst vor der Zukunft zu der, die uns als Kriegstreiber beschimpft, zu der, die zwar nichts versteht, aber sich trotzdem für den Flyer bedankt, sind es jeweils zwei Minuten und ein bisschen Gefühl in den Fingerspitzen weniger.