Monat: August 2019

10.08.2019

Keine Gartenparty, sondern ein Gartenfest von nackten Füßen auf nassem Rasen aufgebaut, denn die Gebete der Nachbarin wurden erst am späten Nachmittag erhört. Salatwettkampf auf dem Buffet, Bierzeltgarnituren mit Wildblumen, bunte Wimpeln zwischen den Bäumen, Bowle, Feuerschale, Musik vom Plattenspieler und eine kleine Tanzfläche in der Garage zwischen günstig erstandenen Vintage Möbeln für ein Leben nach der Hausgemeinschaft.

09.08.2019

Münchener Wohnviertelromantik mit Tomatensträuchern, Pflaumenbaum und der Mirabellenernte, die noch dringend verarbeitet werden müssen. Nur ein Haus hat einen ungemähten Rasen und bunte Wimpel zwischen den Bäumen. In diesem Garten frühstücke ich und verbringe hier den Großteil des Tages mit meinem Buch. Irgendwann geht es dann auch noch in die Innenstadt, um alte Freunde zu treffen, erst in den Englischen Garten und dann in eine Bar. Dann ist da auch noch die Begegnung mit einem Postmitarbeiter, der mich noch den ganzen Abend als Bild eines bayrisch-königlichen Beamten in Uniform begleitet. Aber das kommt alles später. Ich liege und lese und gebe mit der Vorstadtromantik hin.

08.08.2019

Daniel Houben entwirft in seinem Aufsatz „Von Ko-Präsenz zu Ko-Referenz – Das Erbe Erving Goffmans im Zeitalter digitalisierter Interaktion.“ (In: Klemm M., Staples R. (Hrsg.) Leib und Netz. Medienkulturen im digitalen Zeitalter, 2018) fünf idealtypische Dimensionen der Ko-Referenz für die Analyse von Interaktionen:

  1. Ko-Präsenz – Geteilte Raum und Zeit.
    „Ich kann meine schlechte Laune im direkten gegenüber schlecht verbergen“
  2. Mediatisierte Präsenz – Geteilte Zeit. (Andersrum geht leider nicht.)
    „Ich kann meine schlechte Laune am Telefon einfacher verbergen.“
  3. Gerichtete Referenz – Asynchron, aber auf Raum/Zeit (Leib?) bezogen
    „Du bist darauf angewiesen, dass ich meine schlechte Laune im Chat explizit mache.“
  4. Ungerichtete Referenz – Asynchron und nicht auf Raum/Zeit bezogen.
    „Du musst aus meinen Tweets und Facebookkommentaren auf meine schlechte Laune schließen.“
  5. Nicht-Referenz – Es findet keine Interaktion statt.
    „Tür zu. Handy aus. Aber auch eine geschlossene Tür kommuniziert doch. Verdammt.“

Spannend wird da, wo wir die Mediatisierung im Spektakel vergessen, wenn der Chat voller Bilder und GIFs ist, um Raum und Bewegung zu erzeugen, wenn Hasskommentator:innen nach einem Scheinziel suchen. Überall Streben nach Unmittelbarkeit.

07.08.2019

Es gibt Tage an denen ich die Ruhe zum Schreiben habe, das sind die guten Tage, und es gibt die anderen Tage, die es auch geben muss.

06.08.2019

Überall nur Adorno. Zeit für einen Blick in die Minima Moralia?

05.08.2019

Etwas zu verorten oder in ein Verhältnis zu setzen sind beides Beschreibungen von Veränderungen. Formgebende Bewegungen auf etwas zu. Es reicht nicht aus die Fassade eines Hauses beschrieben zu bekommen, um es zu finden. Selbst wenn es eine besonders außergewöhnliche und stadtbekannte Fassade ist, muss ich noch jemanden nach einer Straße, oder zumindest einer Richtung fragen, in der ich dieses Haus finden kann, das angeblich nicht weit von der Kirche weg sei, aber noch vor dem Fluss, der durch die Stadt führt. Und schon beginnt die Erzählung von der Suche. Hat schon zwei Sätze vorher begonnen, als sich die Lücke zwischen dem Hier und dem Da in mir aufgetan hat.

04.08.2019

Als ich wieder auf den Balkon komme beendet der griechische Nachbar gerade auch sein Telefonat. Er wohnt ein Stockwerk unter uns und setzt sich gerne für ein Feierabendbier, die Abendsonne oder ein paar Minuten Abstand von seiner Familie hoch zu uns. Freitag ist er aus Griechenland zurückgekommen. Sein Vater liegt im Sterben, darum sind sie eine Woche länger geblieben, aber jetzt hat seine Schwester angerufen und erzählt, das er nach Hause will, dabei weiß er gar nicht wie schlecht es wirklich um ihn steht. Mit nur ein paar Tagen in Aussicht wollte es ihm niemand … und jetzt sind schon fast zwei Wochen vergangen.

Wir schweigen uns an. Irgendwann wende ich mich wieder meinem Buch zu und er seinem Bier. Navid Kermani beschreibt, wie sein Vater in einer Herzklinik aus der Narkose erwacht und schreiend an den Schläuchen zu zerren beginnt. Er will nach Hause. Und noch bevor ich etwas sagen kann, verabschiedet sich auch der griechische Nachbar.