Monat: Oktober 2021

31.10.2021

Den Tag nur nicht miteinander zu verbringen, weil man auch die ganze nächste Woche gemeinsam unterwegs sein wird ist ja genauso albern. Das Lust gleich Exzess sein soll hat doch auch die Kirche verzapft.

30.10.2021

Ich hatte mir die Frau, die den alten Wasserkocher abholte wegen ihres Chatstils und des spezifischen Emojigebrauchs als etwas anstrengend kommunikative Blondine mittleren Alters mit Rock und bunter Strumpfhose vorgestellt. Wer da aber vor der Tür stand, war eine zurückhaltende, ganz in schwarz gekleidetete Frau mit schwarz gefärbten Haaren, Sonnenbankbräune und einer Parfümfahne, die auch noch Stunden später an den 30 Euro haftete.

Ich kann mir vorstellen, dass es bei ihr genau anders herum war. Hätte ich sie mal gefragt.

29.10.2021

Ich installiere mir einen Tomatenzeitmesser und schaue dann statt zu arbeiten eine BBC Reihe über einen Kunsthändler, der versucht reichen Briten Möbel und Dekorationsobjekte anzudrehen.

28.10.2021

Schon wieder eine Ausstellung in einem alten Kraftwerk mit lauten Geräuschen und düsteren Projektion und abermals bin ich froh, hier nicht alleine durchzugehen. Ich kann mir vorstellen, dass das anders ist, wenn man die vernebelte Betonfinsternis eher mit Musik, Sex und Drogen assoziiert, aber ich finde es eher bedrückend. Apokalypse-Larp mit Marx Zitat. Zeitgenössische Kunst sucht sich jetzt Räume, in denen es nicht auffällt, dass die Katastrophe, die sie nostalgisch morbide beschwören, nicht das Ende der Erzählung sein muss. Metabolic Rift heißt die Veranstaltung, also die Stoffwechselkluft, womit Marx die sich auftuende Schlucht zwischen der Menschheit und dem Rest der Natur meinte, noch bevor die ökologische Krise cool war.

Auf dem riesigen Dachboden des Kraftwerks haben tibetische Mönche einen Schrein zurückgelassen, der nicht direkt mit der Ausstellung zu tun hat. Eine Tafel informiert, dass die Mönche hier einen Drachen angelockt haben, der das Gebäude schützen und Glück bringen soll. Alle paar Jahre kommen sie zurück. Der Altar darf nicht verändert werden und es muss hier oben immer ein Licht brennen.

Das gefällt mir. Die Installation im obersten Stockwerk wirkt direkt ganz anders, wenn ich mir den darum tanzenden Drachen vorstelle. Und die flirtenden Scheinwerfer im Kontrollraum mag ich auf. Und die stinkenden Hinterlassenschaften des mythologischen Totenkults. Alles wo Geschichten angedeutet werden, welche die Kluft überwinden.

27.10.2021

Verschollen geglaubte Audioaufnahmen tauchen wieder auf. Unsortiert und umbenannt, aber alle noch da. Der Wind in den Bäumen, das Gackern von Hühnern und im Hintergrund immer die gleiche Reggaetonschleife, an der das eine Team unseres Filmaustauschs geschraubt hat. Dann gibt es in dem Ordner noch die vielen abgebrochenen Versuche, das Voiceover für eins der Videos einzusprechen und natürlich die Interviews, die ich in den Mittagspausen geführt habe, ohne genau zu wissen, was daraus werden soll. Vielleicht was das Mikro auch nur ein gutes Alibi, ein paar der Fragen zu stellen, die ich mich sonst nicht auszusprechen getraut hätte. Zu deprimierenden für die gemeinsamen Abende: „Erzähle mir von dem Tag, als du flüchten musstest.“ / „Wie war das, als die Rebellen das Gelände gestürmt haben?“ / „Wen und was hast du in diesem Konflikt schon verloren?“

26.10.2021

(Was, wenn sie mich für eine dauermüde Socke hält? Erregung hat einen besseren Ruf als Entspannung, zumindest in Liebesdingen, aber vielleicht auch da nur im Fernsehen. „Alles wird bei dir so schön (ohrenbetäubend) still“, klingt unsexy aber irgendwie auch nachhaltiger.)

25.10.2021

Drei Akustiken:

  1. Im Deutschlandfunk sprechen sie das Jugendwort des Jahres so falsch aus, dass man es auch für eine Demonstration des Konzepts halten könnte.
  2. Bevor die Ärztin mich im Zimmer zurücklässt, damit die Betäubung die Zeit bekommt, die sie braucht, macht sie noch Musik an. Vielleicht ist das ausgesuchte Album ein Produkt langjähriger privater Feldforschung und hat sich besonders zur Beruhigung von Patienten bewährt, vielleicht mag sie das Live-Album aber auch einfach nur sehr gerne. Manche der Songs springen, als käme die Musik von einer alten CD, aber dann kommt eine Werbeunterbrechung für Milchpulver, die eher nach Spotify statt Radio klingt und im Radio würde ja auch kein ganzes Live-Album laufen. Kurz überlege ich, ob die gelegentlichen Fehler Absicht sein könnten, um wartende Patienten abzulenken, ob das vielleicht ein durchdesigntes Konzeptalbum für Zahnärzte ist, oder ich gerade sogar Teil einer geheimen Studie bin, aber ein technischer Fehler scheint dann doch logischer, auch wenn ich dankbar für ihn bin.
  3. Am schlimmsten ist das Knacken und Krachen im Mund.