Ich installiere mir einen Tomatenzeitmesser und schaue dann statt zu arbeiten eine BBC Reihe über einen Kunsthändler, der versucht reichen Briten Möbel und Dekorationsobjekte anzudrehen.
Jahr: 2021
28.10.2021
Schon wieder eine Ausstellung in einem alten Kraftwerk mit lauten Geräuschen und düsteren Projektion und abermals bin ich froh, hier nicht alleine durchzugehen. Ich kann mir vorstellen, dass das anders ist, wenn man die vernebelte Betonfinsternis eher mit Musik, Sex und Drogen assoziiert, aber ich finde es eher bedrückend. Apokalypse-Larp mit Marx Zitat. Zeitgenössische Kunst sucht sich jetzt Räume, in denen es nicht auffällt, dass die Katastrophe, die sie nostalgisch morbide beschwören, nicht das Ende der Erzählung sein muss. Metabolic Rift heißt die Veranstaltung, also die Stoffwechselkluft, womit Marx die sich auftuende Schlucht zwischen der Menschheit und dem Rest der Natur meinte, noch bevor die ökologische Krise cool war.
Auf dem riesigen Dachboden des Kraftwerks haben tibetische Mönche einen Schrein zurückgelassen, der nicht direkt mit der Ausstellung zu tun hat. Eine Tafel informiert, dass die Mönche hier einen Drachen angelockt haben, der das Gebäude schützen und Glück bringen soll. Alle paar Jahre kommen sie zurück. Der Altar darf nicht verändert werden und es muss hier oben immer ein Licht brennen.
Das gefällt mir. Die Installation im obersten Stockwerk wirkt direkt ganz anders, wenn ich mir den darum tanzenden Drachen vorstelle. Und die flirtenden Scheinwerfer im Kontrollraum mag ich auf. Und die stinkenden Hinterlassenschaften des mythologischen Totenkults. Alles wo Geschichten angedeutet werden, welche die Kluft überwinden.
27.10.2021
Verschollen geglaubte Audioaufnahmen tauchen wieder auf. Unsortiert und umbenannt, aber alle noch da. Der Wind in den Bäumen, das Gackern von Hühnern und im Hintergrund immer die gleiche Reggaetonschleife, an der das eine Team unseres Filmaustauschs geschraubt hat. Dann gibt es in dem Ordner noch die vielen abgebrochenen Versuche, das Voiceover für eins der Videos einzusprechen und natürlich die Interviews, die ich in den Mittagspausen geführt habe, ohne genau zu wissen, was daraus werden soll. Vielleicht was das Mikro auch nur ein gutes Alibi, ein paar der Fragen zu stellen, die ich mich sonst nicht auszusprechen getraut hätte. Zu deprimierenden für die gemeinsamen Abende: „Erzähle mir von dem Tag, als du flüchten musstest.“ / „Wie war das, als die Rebellen das Gelände gestürmt haben?“ / „Wen und was hast du in diesem Konflikt schon verloren?“
26.10.2021
(Was, wenn sie mich für eine dauermüde Socke hält? Erregung hat einen besseren Ruf als Entspannung, zumindest in Liebesdingen, aber vielleicht auch da nur im Fernsehen. „Alles wird bei dir so schön (ohrenbetäubend) still“, klingt unsexy aber irgendwie auch nachhaltiger.)
25.10.2021
Drei Akustiken:
- Im Deutschlandfunk sprechen sie das Jugendwort des Jahres so falsch aus, dass man es auch für eine Demonstration des Konzepts halten könnte.
- Bevor die Ärztin mich im Zimmer zurücklässt, damit die Betäubung die Zeit bekommt, die sie braucht, macht sie noch Musik an. Vielleicht ist das ausgesuchte Album ein Produkt langjähriger privater Feldforschung und hat sich besonders zur Beruhigung von Patienten bewährt, vielleicht mag sie das Live-Album aber auch einfach nur sehr gerne. Manche der Songs springen, als käme die Musik von einer alten CD, aber dann kommt eine Werbeunterbrechung für Milchpulver, die eher nach Spotify statt Radio klingt und im Radio würde ja auch kein ganzes Live-Album laufen. Kurz überlege ich, ob die gelegentlichen Fehler Absicht sein könnten, um wartende Patienten abzulenken, ob das vielleicht ein durchdesigntes Konzeptalbum für Zahnärzte ist, oder ich gerade sogar Teil einer geheimen Studie bin, aber ein technischer Fehler scheint dann doch logischer, auch wenn ich dankbar für ihn bin.
- Am schlimmsten ist das Knacken und Krachen im Mund.
24.10.2021
Im Traum von T. kommt aus ihrer einen Brust Hafer- und aus der anderen Sojamilch und ich komme später auch vor, aber nicht so spektakulär wie im Traum von M., da liege ich mit spätrömischer Dekadenz und von Lichtschläuchen umhüllt auf dem Küchenboden und erkläre ihr irgendwas. So umtriebig in fremden Träumen bleiben meine eigenen farblos.
23.10.2021
Den ganzen Tag wird in unterschiedlichen Konstellationen gefrühstückt, immer kleine Häppchen und dann gehen wir zum Monologfestival, wo es kleine Theaterportionen gibt und auch da esse ich weiter, denn irgendwann werden die Reste des Buffets für die Künstlerinnen verteilt. Quasi ein „Häppchen Happening“, aber das klingt als würde die Dorffleischerei im lokalen Werbeblatt ihren großen Feinschlemmertag bewerben.
Wir schauen uns (zu dritt!) drei Stücke an und ich hoffe auf ein lehrreiches, ein lustiges und ein Stück, bei dem ich später das Gefühl habe KUNST erlebt zu haben. Die Praxis ist matschiger als die Theorie, aber beide Dreierkonstellationen funktionieren zu meiner Freude.