Monat: März 2023

24.03.2023

Durchgeknetet und ausgewrungen spuckt mich das Tanzstück zurück auf die Straße. Buchstäblich im Regen stehend fragt mich G. wo wir jetzt noch hingehen sollen, aber wie soll ich wissen, was ich will, wie soll ich überhaupt irgendeine Entscheidung treffen, wenn dieses Ich noch ganz zerrissen mitten im Kreischen, Zerren und Schwitzen steckt. Vielleicht hätten wir doch noch für das Nachgespräch bleiben sollen. Luft zu schnappen war der richtige Impuls, nur war nicht Sauerstoff gemeint.

23.03.2023

Gestern noch Opfer einer heimtückischen Ampel- und Baustellenverschwörung, heute werden mir Türen und Kassen vor meiner Nase geöffnet. Ich kann mir das nicht anders als eine unerfahrene Urlaubsvertretung in der Weltregie erklären. Bei Videospielen gibt es ja das Problem, dass sich echter Zufall für Menschen nicht zufällig anfühlt, weil Menschen überall Muster erkennen. Deshalb wird bei zufällig generierten Inhalten oft mit Begrenzungen gearbeitet, die dafür sorgen, dass der Zufall nicht zu zufällig ist. Ein Würfelwert soll sich nicht seltsam oft wiederholen, auch wenn es möglich und wirklich zufällig wäre. Das richtige Gefühl von Zufall ist also eine Frage des richtigen Timings und jahrelanger Übung. Da muss man mit der Urlaubsvertretung Nachtsicht haben.

22.03.2023

Vor dem Paketshop steht eine kleine Gruppe und starrt unschlüssig auf zwei Zettel an der Tür. „Heute wegen Krankheit geschlossen“, steht auf dem einen und „Diese Betriebsstätte ist amtlich geschlossen und versiegelt worden“ auf dem anderen.

Ich kann mir vorstellen, in welcher Reihenfolge sie aufgehängt wurden, obwohl es andersherum sicher die spannendere Geschichte wäre.

Durch die Glastüre habe ich einen guten Blick auf die Regale mit den Paketen, aber ein Befreiungseinbruch wäre jetzt doppeltes Verbrechen. Das Datum auf den Siegeln ist von heute. Mist. Das kann dauern.

21.03.2023

Um zumindest die Illusion des Gefühls von Autonomie und Wirkmächtigkeit nicht ganz zu verlieren, habe ich angefangen, mich nach meinen gut gemeinten, aber schlecht ausgeführten Kniebeugen, Liegestützen und Rückenübungen am Morgen kalt abzuduschen. Ganz kurz nur. Das Ganze dauert keine 30 Sekunden und ist völlig unabhängig von irgendwelchen gesundheitlichen Überlegungen als reiner Willensbeweis und Machtdemonstration gemeint. Aber es funktioniert. Nach der Dusche ist mir kalt, und das ganz entschieden.

20.03.2023

Das Gebot der Stunde: radikale Menschlichkeit. Schreibe ein Haiku mit deinem Blut auf handgeschöpftem Papier. Fotografiere es nicht, sondern verschicke es als Brief. Lege Blüten von den Blumen bei, die auf deinem Tisch stehen und beträufle sie mit deinem Parfüm. Versiegel den Brief mit einem Kuss. Presse ihn an deine Brust, bevor du ihn einwirfst. Oder noch besser, tu so als ob, erzähle mir davon und frage mich, was das mit mir macht.

19.03.2023

Ich setze ein Dokument auf, füge Überschriften ein und Unterschriften und Unterunterschriften zu den Unterschriften, schreibe die Daten rein, die ich kenne, setze Lücken für die Daten, die noch fehlen, notiere Orte, die ich gerne besuchen möchte und welche, die ich besuchen sollte, reihe die Monate und Wochenenden aneinander, klammere Termine ein und aus, markiere sie farblich und kommentiere nach Dringlichkeit sortiert, bis alle Überforderung formatiert und durchscrollbar unter meinem Finger hinweggleitet. Als Letztes folgt der Titel: „Wegfahr’n 2023“. Dann klicke ich auf freigeben.

18.03.2023

Erst die Sonnencreme auf der Nase und die unbedacht am Hemd abgewischten Dreckfinger markieren den stolzen Heimgärtner. Ich feiere die Rückkehr auf dem Balkon, indem ich Wurzeln aus der Erde wurzele und Zwiebeln in die Töpfe zwiebele. Dann gibt es Kuchen und einen zufrieden schweifenden Blick.

Francis schickt mit ein Video über ostfriesische Teekultur, aber ich klicke nicht auf den Link, da mir bei aller Verbundenheit mit der Sache die Zuschreibung nicht behagt. Weil da so viel Herkunft in meinen Namen eingeschrieben ist, die ich nicht Heimat nennen kann, denke ich immer sofort ein großes ABER, wenn jemand die Verbindung macht. Auch aus Neid. Gerade gestern hatte ich noch einem Freund gesagt, dass ich kein bisschen verwundert wäre, wenn er mir verkünden würde, wieder zurück nach Köln zu gehen. Ihn auch nicht.