Monat: September 2023

30.09.2023

Auf dem Flohmarkt bin ich kurz davor eine Angel zu kaufen, alleine weil die Vorstellung, in diesem Moment an einem See zu sitzen, so viel attraktiver ist als das laute Durcheinander auf dem Leopoldplatz. Mein kurzer Tagtraum wird von einem Mann unterbrochen, der mir mit einem „Pssst“ eine offene Plastiktüte hinhält, in der eine Apple Watch liegt, welche er mir zu einem guten Preis überlassen könne, wie er sagt, während er sich immer wieder auffällig unauffällig umschaut. Ich lehne freundlich ab, die Tüte erinnert mich aber an den Fisch, an den ich bei der Idee bisher noch nicht gedacht hatte. Aber na klar; was, wenn ich tatsächlich etwas fange? Meine einzige Angelerfahrung stammt aus Computerspielen und da brauche ich keinen Angelschein, die Fische leiden nur virtuell, werden automatisch identifiziert und wenn das Inventar voll ist, dann verkaufe ich sie auf dem Heimweg bei irgendeinem Händler. Vielleicht doch lieber ein Teleskop.

29.09.2023

Die Hülle meines neuen Handys hat laut Hersteller die Farbe Cherry irgendwas. Cherry Kiss oder Sweet Cherry oder Cherry Cherry Kiss Me Harry. Auf jeden Fall Kirschen und die habe ich dieses Jahr keine gegessen, fällt mir da auf. Vergleichsweise wenige Erdbeeren, keine Kirschen, nur Johannisbeeren. Aber die Farbe gab es nicht zur Auswahl. Nicht mal Rhabarber.

28.09.2023

Mein Sonnenbadmitbringsel vom Wochenende: Herpesbläschen 1, 2 und 3 plustern sich beim Abstieg der Unterlippe mit zunehmender Intensität auf und auch wenn so der Mund nach links wegkippt, bin ich ausnahmsweise froh, dass hier keine Symmetrie angestrebt wurde.

27.09.2023

2023 ist ein Proust-Jahr. Das Hörbuch der Recherche ist mein Gedankenteppich für Wege und Aufgaben, der die Nachrichten und Benachrichtigungen auffängt, die mir aus den vollen Armen fallen. Ich muss nicht immer zuhören, aber solange sich die Geschichte fortschreibt, wenn ich hinhöre, geht es auch mit dem Rest weiter. Solange überhaupt erzählt wird, darf ich schweigen.

26.09.2023

Das Studio ist noch besetzt vom Kindertanzen. Die Mütter sitzen im Vorraum und nur eine kleine Lebenswelt und wenige Jahre davon entfernt die Frauen – nein, da sind doch noch zwei Männer – die wie ich auf den Contemporary Kurs für fortgeschrittene Anfänger:innen warten.

Statt nach der Arbeit in den Körper zurückzuführen, klebt mein Geist während der anderthalb Stunden an dem der Lehrerin und versucht die Choreografie verbissen in die Glieder zu zwingen. Es ist stickig und eng, aber Abbruch ist keine Option. Wie zur Strafe mit dem Gedanken gespielt zu haben, vergesse ich meine durchgeschwitzten Sachen in der Umkleide.

25.09.2023

Nachdem wir mittlerweile schon bei der dritten Matratze Typ, Konfiguration, Liefertermine und Rückgabebedingungen besprochen habe, fällt mir beim Vorabendspaziergang ein paar Straßenecken weiter zum ersten Mal der Matratzenhändler auf, den es hier den vergilbten Schildern nach zu urteilen nicht erst seit gestern gibt. Im Schaufenster Hammerpreise, 60 Prozent Rabatt, alles muss raus, jetzt noch günstiger und ein Mann im strahlend weißen Polohemd, der Kissen stapelt. Erst kürzlich habe ich gehört, dass sich diese Läden nur halten, weil die Margen so groß sind. Es muss nur ab und an eine Matratze verkauft werden, das reicht. Von genau diesem Gewinn zahlen Emma, Casper, Bruno und Co ihre 100 Tage Probeschlafen. Für eine Weile hatten wir sogar erwähnt, Matratzennomaden zu werden – einfach alle hundert Tage die Matratze austauschen. Bei so vielen Anbietern und dann mal zwei sind das mehrere Jahre zur Miete auf immer neuen Feder-, Kaltschaum- und Latexpolstern; dafür aber mit einer Menge Formularen, Telefongesprächen und irritierten Blicke der Nachbarn, wenn schon wieder eine Spedition im Treppenhaus anrückt. Kurz scheint mir der Verkaufsraum mit seinen bunten Werbeaufstellern und durchsichtigen Schutzbezügen im Fußbereich verlockend, aber dann lächelt mich der Mann zwischen den Kissen durchs Fenster an und seine Zähne sind so weiß gebleicht wie sein Hemd und plötzlich muss ich ganz dringend etwas an meinem Handy anschauen und weiter die Straße hinunter.

24.09.2023

Der Ausflug ist gestrichen, denn dafür müssten wir uns vom Steg wegbewegen. Das höchste der Gefühle ist eine Runde auf dem SUP, aber nur liegend, höchstens sitzend. In einem der Schränke der Hütte finde ich ein Sonnenöl, das nach Vanille und Lederhaut riecht, also marinieren uns und werden dann regelmäßig von Mahlzeiten und Gesellschaftsspielen gewendet. Als die Sonne hinter den Bäumen verschwindet, suche ich nach Zugverbindungen vom nächsten Ort. Die Regionalzüge fahren jede halbe Stunde bis tief in die Nacht. Solange braucht es mit dem Fahrrad auch in etwa zum Bahnhof und dann noch mal nach Hause. Überraschend nah, wären da nicht die Flugzeuge, die über uns ja nicht ziellos zur Landung ansetzen.