24.06.2021

Irgendwann am späten Vormittag höre ich auf zu warten, ober der Regen aufhört und ziehe mich an: untenrum Badehose, obenrum wasserdicht, Helm statt Kapuze. Die erste Viertelstunde ist unangenehm, dann macht es Spaß. Ein paar Grad weniger und mir wäre kalt, wo ist es fast wie schwimmen, nur das mich im See keine LKWs überholen.

Kurz vor der Abfahrt hatte ich nochmal in die Routenapp geguckt. Asphaltierte Straßen und Radwege sind in der Minderheit, mir werden kilometerlange Kopfsteinpflaster und unbefestigte Wege vorausgesagt und ich sorge mich um meinen frisch geflickten Vorderreifen und die eh von meinem Gewicht gezeichnete Federung und auch die ganze andere Mechanik, die an so einem Stahlrahmen hängt und Verkehrstauglich macht. In der ganzen Region wohnen so viele Menschen wie in meiner Heimatstadt, also nicht so viele und warum sollte man da auch Asphalt in die Landschaft kippen, wo doch eh jeder einen Pickup Truck hat, die fährt man hier ja nicht wegen der Straßen. Mit einem Mountainbike macht die Strecke vielleicht sogar richtig Spaß, aber ich verfluche den aufgeweichten Sand der Forstwege und bekomme Streckenweise zwar nicht besonders viel von der Umgebung mit, verfalle beim konzentrierten Blick auf den schmalen befahrbaren Streifen aber in eine Art Zen-Zustand gleichmütiger Durchnässtheit. Mir begegnen Kraniche, Störche und eine einsame Badestelle, die ich mir im Namen meiner Mückenstiche und Brennesselkämpfe erobere. Den Kilometer zuvor hatte ich zum Großteil mit dem Fahrrad auf der Schulter verbracht, um es über auf den Wanderweg gefallenen Raumstämme zu hieven: „Stellenweise muss auf dieser Strecke das Fahrrad vielleicht geschoben werden“ – Naja…

Nach dem Bad kommt der Hunger und für mich typisch habe ich zu wenig Essen dabei. Im entscheidenden Moment beim Umpacken unaufmerksam gewesen, nicht weiter als meine momentane Sattheit gedacht, typisch eben. Noch bevor ich diesen Gedanken zu Ende gebracht habe, habe ich auch schon meinen einzigen Schokoriegel verschlungen. Die nächsten drei Dörfer haben noch nicht mal einen Metzger oder Kaugummiautomaten und so hungrig, dass ich irgendwo tropfend Klingel würde (es regnet ja immer noch) bin ich dann doch nicht. Im vierten Dorf gibt es neben einer Ruine auch einen Imbiss, aber der hat von Dienstag bis Donnerstag Ruhetag. So steht es an der Tür. Ohne „e“. Laut Google Maps sieht es auf den anderthalb Stunden Rückweg nicht viel besser aus. Aber im Wald hört mich auch niemand fluchen. Oder singen. Am dritten Tag meiner Reise fange ich nicht nur an Ortsnamen und Schilder laut vorzulesen, sondern auch zu singen, was bei mir ein gutes Zeichen für einsetzende Erholung ist; wenn Gedanken und Stimmungen so durch mich durchgleiten können, dass sie klingen.

Es gibt oft diesen Punkt, wenn ich lange genug allein in der Natur bin, vielleicht hat auch die Erschöpfung damit zu tun, an dem ich geil werde. Dann denke ich an Sex im Moos, auf Wiesen, in Böschungen an Baumstämme gepresst oder einfach an Masturbation; so durchnässt bin ich quasi eh nackt und keuchend sowieso; ganz bei mir, umschlossen vom Wald ist das ein gedanklich kleiner Schritt zur Verschmelzung mit Gaia. Auch ein Loslassen und Auflösen.

Als ich am frühen Abend wieder an der Unterkunft ankomme, klart der Himmel auf.