28.07.2019

Navid Kermani zitiert Hölderlin

[…] Den Rest des Tages kommt er durch. „Weil ich zerstörbarer bin, als mancher andre“, schrieb Hölderlin 1798 im Brief an Neuffer, „so muß ich um so mehr den Dingen, die auch mich zerstörend wirken, einen Vorteil abzugewinnen suchen, ich muß sie nicht an sich, ich muß sie nur insofern nehmen, als sie meine wahrsten Leben dienlich sind, Ich muß sie w ich sie finde, schon zum voraus als unentbehrlichen Stoff nehmen, ohne den mein Innigstes sich niemals völlig darstellen wird. Ich muß sie in mich aufnehmen, um sie gelegentlich (als Künstler, wenn ich einmal Künstler seyn will und seyn soll) als Schatten zu meinem Lichte aufzustellen, um sie als untergeordnete Töne wiederzugeben, unter denen der Ton der Seele meiner Seele um so lebendiger hervorspringt.“ Was zerstört oder auch nur ablenkt sind keine untergeordneten Töne, sondern der eigentliche, unentbehrliche Stoff, weil das Reine – und hier bin ich zurück bei Hölderlin – „sich nur darstellen [kann] im Unreinen … Und so will ich mir immer sagen, wenn mir Gemeines in der Welt aufstößt: Du brauchst es ja so nothwendig, wie der Töpfer den Leimen, und darum nehm es immer auf und stoß es nicht von dir und scheue nicht dran. Das wäre das Resultat.“ Eine letzte Mail muß er beantworten, dann geht er joggen oder liest Hölderlin oder probt die Lesung oder tut sonst etwas von dem, was er tut, um etwas getan zu haben. […]

und ich verstehe ihn nicht ganz, aber ich erahne die Atmosphäre, den Affekt, der zum Ausdruck gebracht wird. Und die Zufriedenheit darüber hält über den Tee hinaus an, bis nach Hause und bis an den Laptop.