Eine neue Bewegung formiert sich. Junge Menschen, die an den Wochenenden aus den Städten in die Wälder und Hügel ziehen, um Abschied von der Natur zu nehmen, so wie wir sie kennen. Freitags gehen sie auf die Straße und am Sonntag trauern sie.
Ich darf einige von ihnen zu einem ihrer Ausflüge in die Märkische Schweiz begleiten. Es ist eine bunt zusammengewürfelte Gruppe, ca. ein Dutzend Personen zwischen Mitte zwanzig und Mitte dreißig. In der Regionalbahn Richtung polnische Grenze stechen sie vor allem damit heraus, dass niemand von ihnen Funktionskleidung trägt. Manche von ihnen hätte ich heute eher im Club als auf dem Weg in ein Wandergebiet erwartet. Die Stimmung ist gut, gar nicht, wie ich mir eine Trauergemeinschaft vorgestellt hatte.
Eine von denen, die heute dabei sind, ist Maike (23), die schon seit fast einem Jahr zum festen Kern dieser Gruppe gehört. Wie viele Gruppen es in Berlin gibt, weiß sie nicht genau, aber es werden immer mehr. Warum sie Abschied vom Planeten nehme, frage ich sie, aber sie korrigiert mich, es gehe nicht um den Planeten, dem Planeten seien die Menschen egal, wenn schon verabschiede der sich von den Menschen. Maike ist hier, um Abschied von der Biosphäre zu nehmen, die in dieser Form nicht mehr zu retten ist, selbst wenn von heute auf morgen alle Emissionen gestoppt werden. Zum Schützen und Bewahren sei es viel zu spät, sagt sie, es ginge jetzt um Schadensbegrenzung, um die Anpassung der Menschen und Ökosysteme an zukünftige Bedingungen und um Sterbebegleitung.
Wie viele ihrer Freundinnen war Maike von Anfang an bei Fridays for Future dabei und wie bei vielen von ihnen war sie vor einem Jahr kurz davor alles hinzuwerfen. Als die Aufbruchsstimmung der ersten Jahre nachließ, blieb nur noch Wut, die sie mit jedem verstreichenden Monat ohne ernstzunehmende Klimaschutzmaßnahmen immer weiter verbittern ließ. Als sie von einer Bekannten von dem Konzept dieser Trauerfahrten hörte, war sie zunächst skeptisch. Mittlerweile ist sie aber überzeugt davon, wie wichtig es ist, als Aktivistin auch diesen Gefühlen Raum zu geben. Außerdem sei sie auch dabei, um sich alles ganz genau einzuprägen, sagt sie. Den kommenden Generationen will sie auch von der verlorenen Welt erzählen können, um die sie gekämpft habe. Selber will Maike zwar keine Kinder bekommen, – das sei unter diesen Bedingungen unverantwortlich, ließe sich aber auch schwer verbieten, – aber in der Zukunft werde es Zeugen brauchen, wenn den Verantwortlichen den Prozess gemacht würde. Noch bevor ich fragen kann, wie sie sich diesen Prozess vorstellt und wer die Angeklagten seien, beginnt sie von den Verteilungskriegen zu erzählen, die sie erwartet und die bereits begonnen hätten. Wenn sie einmal später in einem Bunker sitzt und darauf wartet, dass draußen die Temperaturen sinken, will sie sich noch daran erinnern können, wie es war, in einem lebendigen Wald zu stehen. Vor ein paar Wochen zum Beispiel habe sie so gebannt eine Schwanenfamilie im Moor beobachtet, dass die anderen sie unter Tränen hätten weiterzerren müssen, damit sie noch den letzten Bus Richtung Berlin erwischen. Solche magischen Momente könne auch eine VR-Brille nicht ersetzen. Gemeinsam zu weinen täte gut, sagt Maike, das sei ehrlicher als immer die Hoffnungsvolle und Kämpferische zu spielen. […]