Jahr: 2021

13.06.2021

Anbaden, mit der Hand zuerst
nackt machen, ohne loszulassen

Alles komisch und komisch meint falsch und Freud schreibt, dass der „humoristische Lustgewinn aus erspartem Gefühlsaufwand hervorgeht“ aber ich kenne nur Bilder, auf denen er ernst in die Kamera guckt.

12.06.2021

Ich mag die Person, die solche Instagram Posts weiterleitet. (Fast ein „Ich mag mich“.) Hinterlassene Zettelchen am Boden des Kleiderschranks.

WhatsApp ist voller unbeantworteter Briefe, unausgepackte, drängende und laute Aufmerksamkeitsgeschenke. Archivieren. Facebook löscht eh nichts wirklich, dann kann ich mir auch aussuchen wie ich erinnern will.

11.06.2021

Nach dem Yoga mit Mate (so heißt der Mann im Video, nicht das Getränk) driften meine Gedanken von der Balkonwand und vom Atem immer wieder zu einem Bild ab, auf dem ein Tyrannosaurus Rex wegen seiner kurzen Arme an einer Yoga-Pose scheitert. Darüber steht „T-Rex Hates Chaturanga“. Als ich später google, wie man Schaturanga richtig schreibt, stoße ich auf einen Blogeintrag zu dem Meme:

why DOES t-rex hate chaturanga?
well, i’m pretty sure he hates everything. he’s pretty much a hater.
and clearly, his ultra short arms aren’t helping him press his hands firmly into his mat. but it probably has more to do with his lack of core body integration…see that hinge in his hips? shouldn’t be there. and since he can’t straighten his legs, or put his knees down, he’s stuck in that weird bent knee posture that doesn’t help anyone. luckily, you’re not a T-Rex. ok, maybe you are, and if so, i congratulate you on your literacy skills. but if you’re not a T-Rex, our DOIN’ IT RIGHT workshop on april 27 will help you fine tune your chaturanga/low-push up/low plank to get you strong and stress free. (not to mention some sexy yoga arms.)

In dem Moment weiß ich aber noch nicht wie man Shaturanga schreibt und ich habe auch das Bild nicht vor Augen, denn wie mein Bruder auch, habe ich quasi kein visuelles Vorstellungsvermögen, sondern erinnere eher das Konzept des Bildes. Dieses erste abstrakte Bild überlagert sich mit seinem zweiten, seinem Nachfolger, einer Aufnahme aus dem australischen Unterholz, die mich immer an Schambehaarung erinnert, heute aber sehr traurig macht, weil ich darauf der T-Rex bin, zumindest als das Bild entstand.

Ich fand das erste Bild auch nie lustig. Ich hatte immer Mitleid mit der Mühe, die er sich trotz seiner kurzen Arme macht. Mir haben solche Positionen aber auch nie Probleme bereitet, das macht bestimmt einen Unterschied. In meinem Auge ist der Böse nicht die Haltung, sondern der Betrachter. Das schlimmste ist, wenn sich über jemanden lustig gemacht wird, der sich anstrengt alles richtigzumachen. Das erzählt mehr über mich als über den T-Rex und Australien. So sitze ich da, morgens um sieben, verschwitzt und mit geöffnetem Herzen und Becken und muss mich anders hinsetzen, das ich bei all der Traurigkeit die aufsteigt überhaupt noch Luft bekomme.

10.06.2021

Holländischer Weißwein und das Staatsballet, das gerade ablegt, als wir uns auf der Brücke treffen. Nur nicht in der Reihenfolge.

09.06.2021

Die japanische Friseurin spricht Englisch und ich spreche Englisch, nur leider nicht das Gleiche. Trotzdem einigen wir uns auf eine Frisur und ich bin ganz froh, mich nicht unterhalten zu müssen, der neue Ort, die laute Musik, die fremden Menschen an meinem Kopf und um mich herum reichen mir schon als Aufregung.

Auf dem Platz neben mir will die Kundin unbedingt die Meinung der Stylistin oder ihre Freundin werden, so genau lässt sich das nicht beurteilen. Als die dann wiederum versucht mit ihrer Freundschaft zu Martha van Straaten anzugeben, zuckt die Kundin mit den Schultern: „Well, there are so many DJs in Berlin…“ – So wird das nichts.

08.06.2021

Es gibt Stadt-, Haus- und Straßentauben, alles Nachfahren der Felsentaube und es gibt noch viele mehr, die mich aber gerade nicht so interessieren, weil sie mich nicht jeden Tag vor ein Rätsel stellen. Tauben leben in Schwärmen, aber auch in lebenslanger Monogamie oder monogamen Saisonehen und sie verteidigen ihr partnerschaftliches Hofrevier mit Gewalt, je nachdem welchen Wikipediaartikel ich dazu lese, ändert sich mein Bild dieser Tiere, aber sind es wirklich dieselben Tiere, die hier turtelnd im Baum sitzen und die in Gruppen über den Alexanderplatz flattern? Ich habe noch nie gesehen, wie sich unsere Hoftauben auf dem Weg zur Arbeit einem Schwarm anschließen und genauso wenig wie eine Taube aus dem Werksbus aussteigt, um in ihr Einfamilienhaus zurückzukehren.

07.06.2021

Ein Gespenst geht um in Europa und trotzdem sollte ich nicht versuchen, den protestantischen Arbeitsethos auszutreiben. Nicht nur, weil es viel zu gewalttätig ist und mir Brutalität nicht steht. Wirklich los werde ich das alte Erbstück eh nie ganz, und je mehr ich darauf einschlage, desto mehr schäme mich für die hinterlassenen Spuren und dann ist das Gespenst noch viel präsenter, als wenn ich es ignoriert hätte.

Den protestantischen Arbeitsethos bei Bedarf liebevoll aber bestimmt bitten aus dem Weg zu gehen, klingt natürlich viel unspektakulärer und auch irgendwie nicht nach echter Arbeit, aber das ist die Falle: Sich arrangieren und behaupten kommt ohne Scheiterhaufen und Fackelmarsch. Fertig bin ich eben nicht, wenn’s wehtut, sondern wenn es sich stimmig anfühlt; ohne fremde Autorität, ohne warten auf eine Freigabe und ohne eingebautes Aber.

Außerdem: Ganz loswerden will es ja auch nicht. Es war ja nicht alles schlimm im Kommunismus.