Jahr: 2022

14.08.2022

Nervöse Mitarbeiter der DB Sicherheit beraten sich neben mir am immer voller werdenden Bahnsteig. Ich finde währenddessen in meiner Brezel einen kleinen Streifen blaue Plastikfolie. Wahrscheinlich die Lasche, mit der man die Tiefkühlverpackung aufreißt. Das zu erkennen, macht es irgendwie besser.

Jetzt zum Backshop zurückzugehen und sich zu beschweren wäre riskant, denn laut App ist der Zug, auf den wir hier warten, schon vor zehn Minuten abgefahren. Aber der Hunger ist eh stärker und die Tasche voller schwerer Bücher und Magazine.

Ich frage mich, ob ich mich mehr über eine Klimaanlage oder einen Sitzplatz freuen würde. Auf beides zu hoffen, wäre irgendwie gierig.

13.08.2022

„Panginga Panganga Pangura“ lautet der Zauberspruch, den ich für meinen verspannten Nacken bekomme, nur was er bedeutet, darf ich nicht verraten. C soll wegen ihres neuen Tattoos zwar nicht ins Wasser, aber wir fahren trotzdem hin, weil sie gerne Autoradio hört und ich gerne zum Sonnenuntergang in einen See springe.

Auf MDR Sachsen werden Musikwünsche entgehen genommen und Bernd wirkt ein wenig überfordert von der Vorstellung des Publikums, vor dem er versucht, keinen seiner Grüße zu vergessen. Hätte er sich die doch besser aufgeschrieben, wird seine Frau danach sagen, das weiß er, aber Bernd will kein Typ sein, der einen Zettel braucht, um alle seine Gäste glücklich zu machen. Mit den vielen Enkeln kann man ja auch schon mal durcheinander kommen. Er wünscht sich „Drei weiße Tauben“. Schon dafür hat sich die Fahrt zum See gelohnt.

Damit unsere Zaubersprüche wirken, versuchen wir nach dem Abendessen noch Sternschnuppen anzulocken. Dafür benutzen wir Wunderkerzen und wo Wunderkerzen sind, muss auch ein Sekt aufgemacht werden, das ist klar. Später wollen wir ja vielleicht auch noch auf einen Rave. Oder direkt Zähneputzen, so ganz sind wir uns da noch nicht sicher. Doch das Walnussorakel entscheidet zu meiner Zufriedenheit.

12.08.2022

Ungeplanter Zwischenhalt auf dem Weg nach Leipzig in Dessau, weil der Anschlusszug überfüllt ist. Ich wundere mich, dass niemand rumbrüllt und ob das wegen oder trotz der Hitze so ist.

In den Softeisbecher, den ich mir zwei Straßen weiter hole, geht auch nicht mehr rein. Die Schokosoße rinnt mir über die Finger, während ich mit dem Holzlöffel nach den in die Masse versteckten Himbeeren suche.

Manchmal im Leben helfen Servietten.
Manchmal nur ein Eis.

11.08.2022

Hungersteine sind bei Niedrigwasser im Flussbett sichtbar werdende große Steine, die nach den Hungersnöten benannt sind, welche auf Dürrezeiten folgen. Auf Twitter macht gerade das Bild eines solchen Steins in der Elbe die Runde, in den die Inschrift „Wen du mich siehst, dann weine“ graviert ist. Dieser Stein gelangte Anfang des 20. Jahrhunderts schon mal zu Bekanntheit, als während einer Trockenperiode zahlreiche Zeitungen über ihn berichteten und Ansichtskarten davon verkauft wurden. Seit dem Bau von Stauseen in den 1920er-Jahren an der Moldau ist der Stein allerdings einen Großteil des Jahres sichtbar. 1938 fügte der Pumpenfabrikant Frantisek Sigmund auf Tschechisch einen pragmatischeren Hinweis hinzu. Sinngemäß übersetzt: „Mädchen, wenn es trocken ist, verschwende deine Tränen nicht, sondern kümmere dich ums Feld.“

10.08.2022

Ich sortiere meine Aufgaben am Tag in die Kategorien Wichtig, Verschiebbar und 5 Minuten ein, wobei die ersten zwei Kategorien quasi eine vereinfachte Version der Eisenhower-Matrix sind. Das „Delegieren“ und „Verwerfen“ passiert schon beim Einsortieren.

5 Minuten ergänzt die großen Aufgaben um eine Liste kleiner Erledigungen und Erinnerungen unterschiedlicher Wichtigkeit und Dringlichkeit, die alle weniger als fünf Minuten brauchen, schnelle Erfolgserlebnisse versprechen und die in den Lücken des Tages erledigt werden können oder um z. B. nach der Mittagspause wieder ins Tun zu kommen.

Jetzt muss ich mich nur noch daran halten:

„In der Sonne auf dem Boden liegen“ (Wichtig)

Früher gab es auch mal die Kategorie Nice to have, aber wie ich den Denkfehler (offensichtlich doch nicht) überwunden habe, ist eine andere Geschichte.

09.08.2022

In dem einen Video attackieren Orcas einen weißen Hai. In dem anderen versucht einer, mit einem toten Fisch eine Möwe an den Beckenrand zu locken.

Beide Videos enden unzufriedenstellend, aber heute ist auch eher in Pottwaltag.

08.08.2022

Auch ohne Brille kann ich in den Spiegel im Tanzstudio mehr erkennen als Unsicherheit und Eitelkeiten. Schweiß zum Beispiel. Wenn ich ins Schwitzen komme, formt eine Kombination aus Haaren, Fett- und Muskelgewebe ein feuchtes Herz auf meiner Brust, aus dem im Laufe der Zeit dann der Schädel eines enthornten Stiers wird. Dazwischen gibt es noch einen schwer zu identifizierenden Zwischenzustand, der wie die anderen Schweißbilder in etwa mit meinem Energie- und Konzentrationslevel korreliert:

Erst öffnet sich der Herzraum und erobert über die Glieder den Raum, dann kommen Zweifel auf und nach ca. 70 Minuten ziehe ich meinen Körper eher als Pflug durch die Bewegungsabfolgen, als selber Form zu sein.

Auf den Pflug oder eher den Stier, der ihn zieht, bin ich nicht besonders stolz, aber das Tanzen tut ihm gut, weil er hier üben muss, seine Kräfte einzuteilen und die Schönheit in der reduzierten Präzision zu suchen. Unter Druck entsteht keine Leichtigkeit. Die Beiläufigkeit, mit der die Prostituierte auf dem Heimweg mit einem angedeuteten Knicks vom Fahrradweg hüpft, behauptet sich vor keinem Spiegel, sondern folgt dem Impuls.