Ich setze ein Dokument auf, füge Überschriften ein und Unterschriften und Unterunterschriften zu den Unterschriften, schreibe die Daten rein, die ich kenne, setze Lücken für die Daten, die noch fehlen, notiere Orte, die ich gerne besuchen möchte und welche, die ich besuchen sollte, reihe die Monate und Wochenenden aneinander, klammere Termine ein und aus, markiere sie farblich und kommentiere nach Dringlichkeit sortiert, bis alle Überforderung formatiert und durchscrollbar unter meinem Finger hinweggleitet. Als Letztes folgt der Titel: „Wegfahr’n 2023“. Dann klicke ich auf freigeben.
Jahr: 2023
18.03.2023
Erst die Sonnencreme auf der Nase und die unbedacht am Hemd abgewischten Dreckfinger markieren den stolzen Heimgärtner. Ich feiere die Rückkehr auf dem Balkon, indem ich Wurzeln aus der Erde wurzele und Zwiebeln in die Töpfe zwiebele. Dann gibt es Kuchen und einen zufrieden schweifenden Blick.
Francis schickt mit ein Video über ostfriesische Teekultur, aber ich klicke nicht auf den Link, da mir bei aller Verbundenheit mit der Sache die Zuschreibung nicht behagt. Weil da so viel Herkunft in meinen Namen eingeschrieben ist, die ich nicht Heimat nennen kann, denke ich immer sofort ein großes ABER, wenn jemand die Verbindung macht. Auch aus Neid. Gerade gestern hatte ich noch einem Freund gesagt, dass ich kein bisschen verwundert wäre, wenn er mir verkünden würde, wieder zurück nach Köln zu gehen. Ihn auch nicht.
17.03.2023
Als ich ankomme, sitzt F. schon an einem Tisch neben dem Café und ist in sein Handy vertieft. Als ich mein Fahrrad abschließe, blickt er kurz auf, sagt „Einen Moment!“ und wedelt mit seinem Gerät, also setze mich dazu und zücke meins.
Weil es darin nichts wichtiges zu entdecken gibt, beobachte ich abwechselnd F., die Marketingstudentinnen am Nebentisch und den Mann im Café, der damit zu hadern scheint, ob er uns zum Verschwinden oder Bestellen auffordern soll. Etwa zehn Minuten verstreichen, in denen F. immer wieder innehält und überlegt oder „Tja, was antwortet man denn auf sowas.“ murmelt. Dann springt er plötzlich auf, ruft lauft „Hallo! Schön dich zu sehen!“ und wir umarmen uns. Die Frauen am Nebentisch verstummen erschreckt und wir gehen zur Kuchenauslage.
Ich schlage vor, das als gesellschafliche Norm zu etablieren. Für jeden Monat sei dem letzten Treffen wird vor der Begrüßung für eine Minute geschwiegen.
16.03.2023
Da ist es schwierig, nicht in eine Sprache zu verfallen, die ganz leergenuckelt und aufgekitscht ist. Ich könnte natürlich vom Versinken schreiben, vom Augenozean, vom Herzklopfen, vom leicht verschämt beglückten Aufwachen aus dem gemeinsam wachen Traummoment zwischen fremden Menschen. Aber das wäre mir ähnlich unangenehm wie der Blick des Tanzlehrers im Nacken, als die Stunde eigentlich schon vorbei ist und wir noch mal beim ersten Schritt beginnen, nur führt sie dieses Mal und mir fällt auf, dass da niemand mehr zum Verstecken ist. Eigentlich schön.
15.03.2023
Wörtlichkeitsübersättigt
sorge ich mich um Rost im Assoziationsapparat
zu viel Zweckmäßigkeit und Eingängigkeit
maximiert die Performance
aber schadet der Seele
also installiere ich eine neue App
die soll’s richten
14.03.2023
Verantwortung ist wie Staub und sammelt sich in den Ecken, bis kurz bevor der Besuch kommt und jemand schnell durchwischen will und sich den Kopf an der Treppe stößt, flucht und dann wenig später genervt die Drecknester aus dem Feudel pult, der eigentlich auch schon seit Ewigkeiten hätte ausgewechselt werden sollen, aber Verantwortung ist wie Staub und hängt im Feudel und wer den auswringt, muss sich entscheiden, ob er in der Wäsche oder im Müll landet und damit ist dann immer noch kein neuer besorgt.
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13.03.2023
Ich habe zu wenige Hosen. Nein. Ich muss das anders formulieren. Ich habe zu wenige Hosen, die nicht zu eng sind oder mit sehr auffällig geflickt, mit unauswaschbaren Flecken oder die nicht von anderen Spuren ihres Lebens nach dem Second-Hand-Laden gezeichnet sind.
Hemden hingegen habe ich genug. Meistens zwar nicht das passende zum Gefühl oder der Farbe des Tages, geschweige denn zu einer der wenigen verbleibenden Hosen, aber doch völlig ausreichend viele, naja eigentlich zu viele, aber Hosen, das ist eine völlig andere Kategorie von Problem.
Außerdem ist es ein Sprachproblem, denn ich habe gelogen oder zumindest übertrieben. Ich habe Hosen und ich habe Hemden, aber erst hier wird es spannend.