Jahr: 2019

12.11.2019

Schritt 4: Tasten – „Ich brauche einen intelligent aussehende Zeitung, in die ich Gucklöcher schneiden kann. Vom Vortag reicht auch. Es geht um die Geste.“

Barthes, Blake, S. 223 – 225:

Der Diskurs der Liebenden ist nicht frei von Berechnungen: ich überschlage, ich stelle gelegentlich Kalkulationen an, sei es, um irgendeine Befriedigung zu erhalten, sei es , um eine Kränkung zu vermeiden, sei es, um dem Anderen innerlich […], den Schatz von Geschicklichkeiten und Einfallsreichtum zu präsentieren, den ich ihm zuliebe umsonst verausgabe (verbergen, nachgeben, nicht verletzen, unterhalten, überzeugen, usw.). Aber diese Berechnungen sind lediglich Regungen von Ungeduld: […] die Verausgabung geschieht laufend, bis ins Unendliche, die Kraft strömt ab, ohne Ziel. […] Wenn die liebende Verausgabung fortgesetzt ohne Hemmung, ohne Wiederausgleich bejaht wird, ergibt sich jenes […] Phänomen, das Überschwang heißt und der Schönheit gleichkommt: »[…] Die Zisterne bewahrt, der Springbrunnen fließt über.«

Barthes, Goethe, S. 220 – 222:

Lotte […]: »Es kann nicht, es kann nicht so bleiben.« […] Das unerträgliche feststellen: dieser Aufschrei hat seinen Vorteil: indem ich mir selbst zu verstehen gebe, dass ich […] mich losreißen muss, schlage ich in mir das martialische Theater der Entscheidung, der Handlung, des Auswegs auf. […] Mir eine schmerzliche Lösung ausmalend (Verzicht, Abbruch), lasse ich die überschwängliche Phantasie des Auswegs in mir nachklingen […], und ich vergesse alsbald, was ich dann opfern müsste: ganz einfach meine Verrücktheit – die sich […] nicht zum Gegenstand des Opfers machen lässt: hat man je einen Verrückten gesehen der seine Verrücktheit jemandem »opfert«.

Barthes, Wagner, Nietzsche, Tao, Rilke, Zen, S. 121 – 123:

Ständiger Gedanke der Liebenden: der Andere ist mir schuldig, was ich brauche. Dennoch habe ich zum ersten Mal wirklich Angst. Ich werfe mich aufs Bett, grübele und komme zu dem Entschluss: künftig vom Anderen nichts mehr haben zu wollen. […] Das Habenwollen muss ein Ende haben – aber auch das Nicht-Habenwollen darf nicht mehr auftauchen: keinerlei Opfer. Ich will das hitzige Aufbrausen der Leidenschaft nicht durch das »verarmte Leben, das Sterben-Wollen, die große Müdigkeit« ersetzen. […] Damit der Gedanke des Nicht-Habenwollen das System des Imaginären aufheben kann, muss er mir gelingen […] mich irgendwo außerhalb der Sprache in einen Zustand der Trägheit fallen zu lassen und mich auf bestimmte Weise ganz einfach: hinzusetzen (»Ruhig sitzen, nichts tun./der Frühling kommt, und das Gras wächst von selbst«). […] nicht das Nicht-Habenwollen haben wollen; […] kommen lassen, was kommt, […] vorbeigehen lassen, was vorbeigeht; nichts an sich reißen, nichts zurückweisen: empfangen, nicht aufbewahren, hervorbringen ohne sich anzueignen usw.

Erläuterungen siehe Lektüreschlüssel.

11.11.2019

Schritt 4: Tasten – Ich … war zufällig in der Nähe vom Telefon.“

Ich möchte springen und klammern und küssen und streichen und packen und kratzen und wiegen und schmusen und trösten und halten und singen und wachen und lachen, aber ich möchte es auch besser machen, also warte ich auf das Jetzt nach diesem und dann das darauf.

10.11.2019

Schritt 3: Innehalten – „Alles wie wilde Tiere beobachten; mit Geduld, Neugierde, geschärften Sinnen, einem Sitzkissen und ausreichend Proviant.

Die Sonne zwischen den bunten Baumkronen im Park,
das Verständnis beim Absagen der Verabredung am Nachmittag,
die würzigen Kürbispommes aus dem Ofen,
der entgegen gestreckte Bauch der Katze beim Kaffee;
die Leichtigkeit, nach dem Erzählen,
die müden Arme und glänzenden Stolpersteine,
die Weltvergessenheit auf dem Schafsfell,
die Beharrlichkeit der Umrisse vor dem inneren Auge,
das Netz aus Geschichten und Diskursen in den Kopfhörern,
der Gemüseberg unter den Messern;
das Knacken des Flammkuchens,
zurück scrollen und verschämt lächeln.

09.11.2019

Schritt 2: Distanz – Mit Karte bitte.“

Makénéné Lounge & Restaurant, dm-drogerie markt, Netto Filiale, dieser Bäcker an der Hauptstraße, der Piden und Lahmacun verkauft, den ich nicht auf Google Maps finde und für den die Streetview-Bilder zu alt sind, aber der sehr gut ist, Gropius-Bau.

08.11.2019

Schritt 1: Wut – „Schrei mich gefälligst an, wenn ich mit dir rede.“

Ich weiß schon, warum ich lieber telefonieren wollte. Ich weiß, warum ich so schnell eine Antwort hatte, als es darum ging wie wir das mit dem Essen machen. Und mittlerweile weiß ich auch, was das für ein Gefühl war, als du vom Nickerchen gesprochen hast und ich gezögert habe. Ich habe mehrmals gesagt, dass ich vielleicht besser gehen sollte, ohne eine Reaktion von dir zu bekommen. Ich habe versucht mit der Beobachtung der Körperhaltungen das Gespräch auf die Stimmung zu lenken. Ich habe mich der Glühbirne zugewendet, um dich nicht zu bedrängen. Ich habe mich überwunden und gefragt was los sei. Ich habe deine Umarmung ausgehalten, damit du dir keine Vorwürfe machst. Aber noch schlimmer ist der, der sich von euch im Nachhinein zum Vampirbär erklären lässt. Der sich selber nicht wehrt.

07.11.2019

Schritt -1: Kollision – …“

Lieber Dinge zerstören und Menschen verletzen und etwas anderes fühlen, als dass erstickende Nichts, das den Fleischwolf füttert und die Innereien zerreist, dachte sich das Kind, nur nicht in Worten und ohne es zu verstehen, sondern als blinde, schreiende Umklammerung. – Scham und Trotz haben nie mit der Sache zu tun, sondern immer mit der Auslöschung des Ichs durch das Absolute. – Der Erwachsene wirft nicht sein Fahrrad in den Fluss, sondern versinkt langsam im Sofa. Ob das ein Fortschritt ist, habe ich dich gefragt, du Opfer.

 

06.11.2019

Aural / Oral / Performt: An wen richtet sich der Monolog? Sein, Publikum, Gegenüber, Ich? Sprechen wir zueinander oder miteinander? Und wie nah (Abstand / Öffentlichkeit / Liveness / Diskurse) sind wir uns dabei?