Jahr: 2021

25.06.2021

Ab- und Rückfahrt. Heute ohne Schotterpisten, nur auf Rennradstrecken, zwischendurch auch mit Musik auf den Ohren, um die Autos auszublenden. Das ist der Preis für Asphalt.

Die Dörfer werden größer, erst ein Landmarkt, dann ein Nahkauf und dann sogar ein EDEKA. Ich mache einen Umweg über Templin, damit ich nicht zu früh zu Hause bin und als ich in Eberswalde ankomme, brauch ich die Sonnenbrille nicht mehr. In Eberswalde gibt es Eis und den Regionalexpress nach Berlin. In Berlin eine Küche, der man ansieht, dass ich nicht da war. In der Küche liegt trauriger Rhabarber, aus dem ich noch schnell Kompott mache, bevor ich ins Bett falle.

24.06.2021

Irgendwann am späten Vormittag höre ich auf zu warten, ober der Regen aufhört und ziehe mich an: untenrum Badehose, obenrum wasserdicht, Helm statt Kapuze. Die erste Viertelstunde ist unangenehm, dann macht es Spaß. Ein paar Grad weniger und mir wäre kalt, wo ist es fast wie schwimmen, nur das mich im See keine LKWs überholen.

Kurz vor der Abfahrt hatte ich nochmal in die Routenapp geguckt. Asphaltierte Straßen und Radwege sind in der Minderheit, mir werden kilometerlange Kopfsteinpflaster und unbefestigte Wege vorausgesagt und ich sorge mich um meinen frisch geflickten Vorderreifen und die eh von meinem Gewicht gezeichnete Federung und auch die ganze andere Mechanik, die an so einem Stahlrahmen hängt und Verkehrstauglich macht. In der ganzen Region wohnen so viele Menschen wie in meiner Heimatstadt, also nicht so viele und warum sollte man da auch Asphalt in die Landschaft kippen, wo doch eh jeder einen Pickup Truck hat, die fährt man hier ja nicht wegen der Straßen. Mit einem Mountainbike macht die Strecke vielleicht sogar richtig Spaß, aber ich verfluche den aufgeweichten Sand der Forstwege und bekomme Streckenweise zwar nicht besonders viel von der Umgebung mit, verfalle beim konzentrierten Blick auf den schmalen befahrbaren Streifen aber in eine Art Zen-Zustand gleichmütiger Durchnässtheit. Mir begegnen Kraniche, Störche und eine einsame Badestelle, die ich mir im Namen meiner Mückenstiche und Brennesselkämpfe erobere. Den Kilometer zuvor hatte ich zum Großteil mit dem Fahrrad auf der Schulter verbracht, um es über auf den Wanderweg gefallenen Raumstämme zu hieven: „Stellenweise muss auf dieser Strecke das Fahrrad vielleicht geschoben werden“ – Naja…

Nach dem Bad kommt der Hunger und für mich typisch habe ich zu wenig Essen dabei. Im entscheidenden Moment beim Umpacken unaufmerksam gewesen, nicht weiter als meine momentane Sattheit gedacht, typisch eben. Noch bevor ich diesen Gedanken zu Ende gebracht habe, habe ich auch schon meinen einzigen Schokoriegel verschlungen. Die nächsten drei Dörfer haben noch nicht mal einen Metzger oder Kaugummiautomaten und so hungrig, dass ich irgendwo tropfend Klingel würde (es regnet ja immer noch) bin ich dann doch nicht. Im vierten Dorf gibt es neben einer Ruine auch einen Imbiss, aber der hat von Dienstag bis Donnerstag Ruhetag. So steht es an der Tür. Ohne „e“. Laut Google Maps sieht es auf den anderthalb Stunden Rückweg nicht viel besser aus. Aber im Wald hört mich auch niemand fluchen. Oder singen. Am dritten Tag meiner Reise fange ich nicht nur an Ortsnamen und Schilder laut vorzulesen, sondern auch zu singen, was bei mir ein gutes Zeichen für einsetzende Erholung ist; wenn Gedanken und Stimmungen so durch mich durchgleiten können, dass sie klingen.

Es gibt oft diesen Punkt, wenn ich lange genug allein in der Natur bin, vielleicht hat auch die Erschöpfung damit zu tun, an dem ich geil werde. Dann denke ich an Sex im Moos, auf Wiesen, in Böschungen an Baumstämme gepresst oder einfach an Masturbation; so durchnässt bin ich quasi eh nackt und keuchend sowieso; ganz bei mir, umschlossen vom Wald ist das ein gedanklich kleiner Schritt zur Verschmelzung mit Gaia. Auch ein Loslassen und Auflösen.

Als ich am frühen Abend wieder an der Unterkunft ankomme, klart der Himmel auf.

23.06.2021

Statt loszufahren flicke ich das Loch im Schlauch und schaffe es bis zum überübernächsten Dorf um einzukaufen. Lesen, schlafen, starren, aufschreiben und wieder schlafen. In der Stille, in den Wiesen begegnet mir überall L.

22.06.2021

Willkommen in Groß Fredenwalde. Die Gastgeberin und ich reden immer leiser, wie um nicht die Idylle zu stören. Hier das Zimmer im denkmalgeschützten Eselstall, das ist der Hund, da hinten die Schafe, von hier kann man den Fuchs und die Kraniche beobachten, die haben zwei Junge dieses Jahr, die Wolle um die Beete soll die Schnecken fernhalten, dort nisten die Schwalben, den Mauerseglern in die Wand nicht hoch genug für die ersten Sturzflüge ihrer Jungen, die Rosen haben unter der Hitze gelitten, aber jetzt steht sie in voller Blüte, die Linde seit gestern, darum das laute Summen im Hof.

21.06.2021

Die einen interessieren sich eher für den selben Urgrund zweier Phänomene, die anderen dafür, dass bei zwei Phänomenen auch zwei unterschiedliche Gedichte herauskommen. Beide interessieren sich für den Leib, der das tragen muss, beide für das Geheimnis, die Magie, aber die Methode, am Ende führen wir doch wieder Methodendebatten, wenn es doch nur nicht so warm wäre.

F. regt sich manchmal darüber auf, dass mir egal ist, ob ein Internetvideo gestellt ist. Aber woran entscheidest du dann, ob es seltsam oder lustig ist?, fragt er dann. Na gar nicht. Wenn die Performance stimmig ist, wenn ich einen swipe lang unterhalten bin, was kümmert mich dann Wahrhaftigkeit. Die Frage stellt sich mir nicht. Sobald sich jemand entscheidet, ein Video zu machen, ist es ein Handeln im Wissen der Beobachtung; ich kann nach Authentizitätseffekten fragen, aber nur wenn sie im Dienst des Affekts stehen, spielen die eine Rolle und der Rest der Welt ist eh CGI.

20.06.2021

Ich war noch nie beim Hot Yoga, aber so muss es sich anfühlen. Nach der Videostunde wringe ich die Matte aus und wische die Dielen, damit kein Aromaholz daraus wird. In einer Stunde am See?, fragt das Handy und warum eigentlich nicht, ich darf nur nicht vergessen zu essen und zumindest für die Begrüßung noch mal zu duschen und das Mückenspray auch nicht und Wasser und etwas zu schreiben, falls sich eine schöne Stille ergibt.

Hilfe, haltet an, sagt ein junger Mann auf halber Strecke zur S-Bahn am Rand des Waldwegs, er habe alles verloren, vor allem die Schuhe und seine Füße täten so weh, das Laufen sei unmöglich, aber wenn wir ihm ein Fahrrad ausleihen würden, dann würde er damit zur S-Bahn und es da abstellen, Ehrenwort, gar keine Frage, außer dem Vertrauen bliebe ja nichts mehr in der Welt und ihm könne man ja trauen, das hätte ja auch nichts damit zu tun, dass er glaube, Jesus zu sein, und da flucht er laut, verdammt, das hätte er nicht sagen sollen, und da hat er recht.

19.06.2021

„Alle meine Pferde ringen um die Nacht. Kein Pferd ringt allein, denn alle meine Pferde ringen um die Nacht. Wenn mich etwas rühren könnte, dann das, Ich sehe eine Herde. Kurz darauf stellte sich heraus, dass in diesem Hoddis-Zitat gar nicht von Pferden die Reden war. Nein, es ging um Pfade. Pfade?, fragt Veronika. Auch gut. Da höre ich dann die nächtlichen Diskursschleifen – da herauszukommen und denn noch weiterzureden. Alle meine Pferde, alle meine Pfade.“  – Monika Rinck: Ah, das Love-Ding

Ich sitze müde in Boxershortsbriefs im Schaukelstuhl auf dem Balkon, schaukele warte auf den Regen und versuche das Zitat aus dem Buch zu verstehen, das ich schon nach dem ersten Kapitel in den Schrank hätte stellen sollen, weil mir für so aufmerksames Lesen zurzeit die Aufmerksamkeit fehlt. Aber ich lese es doch weiter, weil es ein Geschenk war und weil das Thema wichtig und drängend scheint, also nehme ich es doch immer wieder in die Hand, aber ich lasse eher das Auge über die Essays gleiten, als das ich den Text durch mich durchschleife.

Es donnert und blitzt bereits, aber der Regen lässt auf sich warten. Warum eigentlich schon wieder Pferde? Lässt sich da eine Symbolik konstruieren?

Der Regen lässt auf sich warten. Ach, wenn ich nur auch so einen schönen Lesesessel hätte, dann würde ich bestimmt viel mehr Lesen, denke ich, aber sowas glaube ich selbst bei über 30 Grad nur kurz ernsthaft.

Als das tröpfeln endlich Ernst macht, kommen nach und nach die anderen Unterwäschemänner auf den Balkon und wir patschen mit den Füßen im Wasser und Nachbarn winken sich freudig triefend von den Balkons zu, die sich sonst im Hof nie grüßen würden.