In Leipzig machen alle Human Design, hatte T erzählt, was das Internet als „ganzheitliches Selbsterkenntnissystem“ beschreibt, das die „individuelle energetische DNA wie einen Bauplan darlegt“ und aus dem Ort und Zeit der Geburt berechnet wird. Aha. Schon klar. Den Schritt von der Astrologie zu Energiebahnen im Körper verstehe ich dabei nicht ganz, aber ich weiß, wann und wo ich geboren wurde und wie man Textfelder im Internet ausfüllt, darum habe ich schnell auch ein PDF mit so einem Bauplan auf meinem Desktop und dann noch einen anderes, nur um die beiden Bilder und Zahlen miteinander zu vergleichen. So skeptisch bin ich bei aller Neugier dann doch. Für eine ausführliche und persönliche Interpretation müsste ich jetzt 50 – 75 Dollar zahlen, darum belasse ich es bei der Vorschau. Die sagt, ich solle mehr auf meinen Bauch hören. Das trifft sich, denn ich stehe gerade zufällig vor einer Entscheidung: Airbnb oder Campingplatz? Eine Hütte mit Sofa, Veranda und Kamin oder ein Zelt direkt am See? Neun oder neunzig Euro die Nacht? Und ja, es stimmt, mein Bauch weiß ganz genau, was ich will und wofür ich mich schäme.
Monat: Mai 2022
30.05.2022
„When we consider it our job to do better than we can do, than you don’t do anything, because you’re waiting for you to come up with something you don’t come up with.“, sagt Dan Harmon und ich überlege, was das für Podcasts und Kunst bedeutet, weil ich viel an dem Essay im Deutschlandfunk zu kritisieren hatte, aber auch schön fand, meiner anderen Meinung mal ausnahmsweise so sicher zu sein. Jedenfalls überlegte ich, was das für mich bedeuten würde, wenn ich Podcastkunst machen würde. Nicht Radio- oder Klangkunst zum Download, sondern Kunst mit den Mitteln und unter den Bedingungen des Mediums, so wie ich es verstehe. Aber dann will ich auch noch waschen und Abendessen machen und gehe doch wieder in die Falle, weil es sich nicht wie Warten anfühlt, sondern wie Handeln.
29.05.2022
Auf einem Schaffell eingeschlafen und neben einem Ofen aufgewacht. Das stimmt nicht ganz, aber ohne die Szene, in der ich im Nebenraum müde in und aus dem Schlafsack krieche und mir den Kopf an der niedrigen Tür stoße, gefällt mir das Bild deutlich besser.
In der Küche finde ihr mehrere Beutel meines Lieblingsschwarztees, also lege ich Holz nach, koche Wasser und schreibe schnell alles auf, solange die anderen noch schlafen und die Ereignisse noch nicht auf ihren Wahrheitsgehalt pochen.
Und dann vielleicht doch noch in den See? Wo nichts los ist, sieht auch niemand, wie lange ich brauche, um ins Wasser zu gehen. Das ist nach dem vielen Regen der letzten Tage dann nämlich doch sehr kalt. Auch nach der zweiten Runde noch und so bin ich bei den letzten Zügen vor dem Steg in Gedanken schon längst wieder beim Ofen. (Und bei J.)
28.05.2022
Die Sozialkaterhypothese bestätigt sich. Beim zweiten Geburtstag wurde es ähnlich spät, aber mir fiel die Verabschiedung leichter und heute auch die Müdigkeit.
Der Aufbruch zu T und A und der Hütte am See verzögert sich deshalb. Erst geht es mit der S-Bahn nach Süden und dann noch mal anderthalb Stunden mit dem Fahrrad durch die Wälder und Felder hinter dem Speckgürtel. Der Ausflug ist auch eine dieser Sachen, die zwar im Kalender stehen, aber erst unterwegs real werden. Was mache ich hier eigentlich? Achso ja, trampeln.
Kaum angekommen und eine Tasse Tee in der Hand, verabschieden sich die Energiereserven in den Feierabend. Alles wird ruhig, obwohl wir uns die ganze Zeit unterhalten und der Wind die Eichen schüttelt. Muss eine Kopfsache sein. Bleibst du über Nacht? Gerne. Ich wüsste auch nicht, wie ich von diesem Sofa noch mal aufstehen sollte. Von meinem Platz aus habe ich einen guten Blick in den Garten auf den See. Als es irgendwann zu dunkel wird, um die Wellen zu erkennen, drehe ich den Kopf nach rechts und schaue stattdessen ins Feuer. Schön.
27.05.2022
Katertag. Nicht vom Alkohol, sondern her ein Sozialglückskater. Der Kater von einem Abend, bei dem ich gerne und ausführlich die Verabschiedungsrunde mache und nicht aus Pflichtbewusstsein oder mich gar heimlich davonstehle.
26.05.2022
Um Viertel nach sechs stehe ich am Straßenrand und reiche die Tasche mit dem Proviant und einen Kaffee im nie zurückgebrachten Pfandbecher ins Auto. Gute Fahrt und fallt nicht vom Berg. Winken wäre übertrieben, oder? Aber da ist das Auto schon hinter einer Ecke verschwunden und ich schon auf dem Weg zum Aufwärmbäcker (2 Croissants für 1,20 €). Davor wartet eine ältere Frau auf einen Bus, der nicht kommt, wegen der Baustelle, versuche ich ihr zu erklären, aber sie spricht kein Deutsch und weil ich auch nicht herausbekommen kann, mit welcher Linie sie fahren will, deute ich nur ungefähr in die Richtung der Ersatzhaltestellen. Das reicht ihr schon, aber sie weiß ja auch noch nicht, auf wie viele Ersatzhaltestellen dieser Halt aufgeteilt wurde. Den ganzen Rückweg sorge ich mich für sie mit. Aber nur ein bisschen. Dann gibt es Croissants.
Natürlich verfolge ich den Amber Heard/Johnny Depp Prozess, ich schaue ja auch Raketenstarts und hätte fast den ESC geguckt, wenn ich nicht doch bessere Sachen zu tun gehabt hätte. Endlich mal wieder ein Thema über das alle reden und das weder mit toten Kindern, noch mit dem Ende der Menschheit zu tun hat. Und das beste: Egal, zu welcher Tageszeit ich mein Handy zücke, gibt es neue Highlights, Reaktionen und Memes. Die Contentmühle ackert in allen Zeitzonen. Der Livestream ist dabei gar nicht so wichtig, denn obwohl jede Geste analysiert wird, spielt die eigentliche Geschichte ja in der Rezeption und nicht im Gerichtssaal. Das, wofür der Prozess steht, macht ihn so tragisch, aber auch so spannend. Wie soll ich da denn nicht hinsehen?
25.05.2022
Geselligkeitskater. Kleine Augen und faserige Gedanken, einen halber Meter hinter mir. – Guck nicht so entrückt, sondern setz dich in den Schaukelstuhl, müder Zirkusbär. Hast du gar nicht mitbekommen? Tiere in der Manege wurden abgeschafft, es tanzen nur noch Hologramme. Die sind auch viel günstiger, nur was die Duftkanonen kosten würden, hatte man völlig unterschätzt. Authentischer Kamelmuff ist sehr teuer.