Wir knüpfen einen Teppich, entwirren ein Knäuel, passen uns Bälle hin und her, ganz so sicher bin ich mir mit den Metaphern nicht, aber ich favorisiere die textilen und die prozessorientierten, damit keine heißen Schuldkartoffeln herumgereicht werden. Dann muss ich auch nicht sagen, dass ich eifersüchtig bin und auf wen, sondern kann sagen, dass in der Topografie des Gruppengefüges gerade an bestimmten Schnittstellen interessante Verdichtungen sichtbar werden, die da ein Thema aufmachen, zu dem ich ein paar Anknüpfungspunkte anbieten könnte.
Jahr: 2023
02.05.2023
Eine Geburtsankündigung per BeReal. Sehr real. Bei LinkedIn dann eine Todesmeldung von jemanden, den ich nie persönlich kennengelernt habe, aber dessen Stimme mir vertraut war. Sehr irreal.
Letztens habe ich auf Instagram unter einem schwarz-weiß Porträt den Kommentar gelesen: „Ihr könnt mich doch nicht so erschrecken!“. Er hatte mehrere hundert Likes. Und er hatte recht.
Die republikanische Partei und Amnesty International haben angefangen, in ihren Kampagnen computergenerierte Bilder von Schreckensszenarien zu verwenden. Die Gewerkschaft der Kriegsfotograf:innen ist entrüstet. Gerade wurde es wieder spannend.
01.05.2023
Mai?
Mai!
M a i
1. Mai sogar
„Diese lauten Krawalldemos sind ja nichts für mich“, sage ich und angele mir ein Stück Sushi von der anderen Seite des Tischs, das mich besonders anlacht. „Der einzige Akt des Widerstands heute richtet sich gegen die Bettgehzeit“, füge ich hinzu und verlasse die Dachterrasse, um die Siebträgermaschine vorzuheizen.
„#hedonisticselfcare ist auch Widerstand“, ruft mir L. hinterher.
Soll mir recht sein.
30.04.2023
Schlechte Witze bestraft der liebe Gott sofort. In der Nähe der Toiletten fragt uns eine Frau, ob wir MDMA haben, was mir um kurz vor 20 Uhr, bei einer Party, die um 19 Uhr angefangen hat, sehr engagiert vorkommt. Ich hatte erwartet, hier eigentlich eher Menschen zu treffen, die wie ich um spätestens Mitternacht wieder im Bett sein wollen.
„Ne, sorry“, antworte ich und sie verschwindet hinter der nächsten Ecke. „Und wenn, dann nicht für dich“, füge ich ironisch in Richtung meiner Gruppe hinzu und bereue es kurz darauf, weil wir dann auch um diese Ecke gehen und sie da noch steht, oder wieder, so genau ist das nicht zu sagen. Auf jeden Fall weiß ich nicht, ob sie mich noch gehört hat.
„Tut mir leid, weiß nicht, ob du noch gehört hast, was ich gerade noch gesagt habe, aber falls, dann war das nicht so gemeint. Das war eine Rolle. Keine Ahnung, warum ich die einnehmen musste. Aber ich habe auch wirklich nichts. Spätestens jetzt würde ich es dir aber wirklich geben. Also auch vorher, aber wie gesagt, ich hab ja gar nichts!“, denke ich, aber verschwinde, statt etwas zu sagen schnell in die entgegengesetzte Richtung.
29.04.2023
Es war aufregend, wie die Suche nach einem Schmuckstück, welches beim ersten Besuch des Juweliers, auf dem Weg zum Park, noch in einer anderen Vitrine gelegen hatte als auf dem Rückweg, auf dem, mit einem Eis in der Hand und der Nachmittagssonne im Nacken, die Entscheidung zum Kauf getroffen wurde.
Bereits verkauft? Nein, hier ist es.
Glück gehabt. Was für ein Schock.
Aber wirklich. Der Abend ist gerettet!
28.04.2023
Aus dem Boden kommend, aufrecht, stolz und selbstbewusst, aber locker in den Schultern. In der Brust die Füße, mit aktiver Mitte und doch entspannt in der Musik. Es heißt führend, meint aber eine Einladung, einen Impuls, ein Angebot. Und wenn die Schulter schmerzt, dann fließt es nicht, dann vertraust du nicht.
27.04.2023
Beim Auf- und Abtauchen kreuzen meine geschlossenen Augen den Lichtkorridor, den die Abendsonne zwischen zwei Wolkenfelder gerade noch über das gegenüberliegende Dach ins Zimmer wirft. Das reicht.