Jahr: 2022

26.06.2022

Reisetag mit Zwischenstopp im Wisentreservat und an der Badestelle hinter dem Viertel, das in Touristenorten wie hier wegen drei Plattenbauten und gebrochenem Deutsch als Problemviertel gilt.

Meine Füße fühlen sich nach trockenen Blumenerde an. Gibt es Feuchtigkeitscreme für Erde? Noch wässernder als Wasser, wie mehrfach konzentriertes Tomatenmark, noch nasser, vielleicht auch mit Aloe vera und Vitamin E, damit man es auch als Après Sun verwenden kann.

Wir werden für die Klimakrise Unmengen an Après Sun brauchen, zumindest für die Jahre, bis sich diejenigen, die unsere Après Sun herstellen, alle auf dem Weg in die Länder gemacht haben, in denen man trotz wachsender Armut weiter auf die verbesserte Formel und einen gleichmäßigen Teint hofft.

Entweder habe ich COVID oder ich war zu lange in der Sonne. Die Kopfschmerzen und die schlechte Laune haben aber wohl eher mit der Rückreise zu tun. Also mit Kontrolle.

25.06.2022

Noch gruseliger als verlassene Orte sind solche, bei denen ich mir nicht sicher bin, ob sie verlassen sind. Irgendwer mäht hier doch noch den Rasen. Zumindest vor dem Schloss. Der Park dahinter und die alten Klettergerüste des zwischenzeitlichen Kinderheims sind völlig überwuchert. Und noch eine Frage: Warum heißt der See Bergsee, wenn es hier doch gerade mal Hügel gibt?


Der Plan:

Mich mit dem kreisenden Geier versöhnen,
dem Affen Respekt zollen,
und in das Rudel vertrauen.

24.06.2022

Die wichtigsten Gespräche werden immer bei den Fahrradständern oder in der Gemüseabteilung geführt, also kurz bevor es wirklich losgeht. Das verlängerte Wochenende hat aber schon gestern angefangen und was heute sonst noch wirklich wichtig war, geht nur die Vögel im Himmel, die Schlagen im Wasser und das kleine schwarze Heft etwas an. – Ein zufriedener Mantel des Schwitzens und Schweigens, mit Picknick und sanftem Wellengang.

23.06.2022

Reisetag. Weil der Check-in im Airbnb erst am 16 Uhr möglich ist, bleibt noch Zeit für einen Bubble Tea in der Altstadt von Waren (Müritz). Da bin ich schon entspannt und glücklich und deshalb auf dem Fahrradweg durch den Wald, bei der Ankunft in der Hütte und später am See jedes mal wieder aufs Neue überrascht, dass in dem Gefühl noch eine Steigerung drin ist.

Unsere Unterkunft ist eigentlich ein bisschen über meinem Budget, aber quasi perfekt für das, was wir hier vorhaben: Essen, Lesen, Baden und Sex. Außerdem ist Bachmannpreis und das WLAN scheint stabil. Die Tourenräder sind unser Alibi auf dem Weg zum Supermarkt oder beim Wechseln der Badestellen.

Wer hier an der Seenplatte wirklich Geld hat, der hat auch einen eigenen Seezugang. Das wirkt als Wohlstandsziel nicht völlig unerreichbar, könnte aber auch naiv von mir sein. Doch auch in ein paar hundert Meter Entfernung zum Wasser muss ich noch einen Bannkreis aus Mückenkerzen um den Tisch ziehen.

Das erinnert mich an einen Artikel über Vertreter eines afrikanischen Stammes, die sich darüber beschwert hatten, dass Forscher in ihren Krankenhäusern schon seit Jahrzehnten nach einer Impfung gegen Malaria suchen würden, die COVID Impfungen aber seltsamerweise schon nach einem Jahr auf dem Markt waren. Juckend und kratzend sind wir eben doch nicht alle gleich und ich frage mich, wer im Artikel wirklich bis zu Einordnung gescrollt hat, warum sich ein Virus und eine Infektion nicht so einfach vergleichen lassen.

22.06.2022

Selbst die Tiere im inneren Team haben Identitätsprobleme und verstecken sich zwischen Klammern auf dem Flipchart. Geschlecht, Gattung, es ist aber auch nicht so einfach mit diesen Zuschreibungen. Und wie soll ich denn authentisch dem Seepferdchen nachspüren, wenn ich gar nichts über dessen Sozialverhalten weiß? Das endet doch alles im Anthropomorphismus und -ismen gelten im Self-Marketing als Risikofaktoren. Sprechen wir lieber von der Autonomie der inneren Lichtung und beobachten ohne Bewertung, wer da kommt und geht und was wächst. (Pilze und Moose.)

21.06.2022

Fete de la Musiqe: Endlich wieder klassenkonform gemeinsam mit den anderen auf der Straße rumstehen, die liebevoll von „ihrem Falafelmann“ sprechen und ein genauso zwiegespalten-optimistisches Verhältnis zu den neuen Galerien und Cafés im Viertel haben wie ich. Auf dem Weg zwischen den Bühnen bauen junge Paare nach der Arbeit ihre Bullis aus. Die nennt man heute eigentlich Vans, aber im Plural muss ich immer an die Schuhe denken.

Ein Mann winkt mit einem unsichtbaren Feuerzeug in der Hand entgegen. Ich schüttle den Kopf und er lacht: „Niemand raucht mehr in dieser Stadt, du bist schon der zehnte!“ Da hat er recht und trotzdem ist die Stimmung super. Diese Abende entschädigen für das halbe Jahr Winter und länger als heute werden sie auch nicht mehr. Im Himmel brennt ein Sonnenwendefeuer. Sind die Waldbrände in Brandenburg mittlerweile eigentlich wieder unter Kontrolle?

20.06.2022

Er brauchte länger als zehn Minuten, tauschte aber nicht nur den Schlauch des Vorderreifens aus, sondern reparierte auch das Rücklicht und zog die Bremsen nach. Dafür musste er vier- oder fünfmal wieder die Treppen hinauf, um anderes Werkzeug zu holen, dass er teilweise vorsorglich nach dem vermeintlichen Ende einer Aufgabe schon wieder mit in den vierten Stock genommen hatte.

In einem Paralleluniversum war er nicht den Weg des geringsten Nachdenkens gegangen, hatte auch nur das Ventil und nicht den Schlauch gewechselt und gleich alle üblichen Werkzeuge mit in den Hof genommen. In diesem Universum hatte der Regen aber noch nicht aufgehört und die Seife war alle, als er sich später völlig durchnässt die Hände waschen wollte. Sein Frust war stiller und schneller wieder vorbei, aber die Flecken auf dem Hemd bekam er nicht mehr weg.