Jahr: 2022

28.08.2022

Mein größtes Wagnis heute war das alkoholfreie Radler, der einzige Perspektivwechsel, die Vorbeuge beim Yoga und das spannendste, die Suche nach Socken ohne Löcher.

Je später das Frühstück, desto weniger Überraschungen. (So?) In meinem autoritären Staat verhindere ich die Revolution durch eine ausgedehnte Brunchpflicht. Experimente nur in Gedanken, da für die Katharsis aber gerne heiß und schwitzig.

27.08.2022

Zum Sommerfest gehört dieses Jahr auch ein Poetry Slam, für den sechs Poet:innen anreisen, um in der Tanzscheune ihre Texte vorzulesen. Ich war schon lange nicht mehr bei einem Poetry Slam, weiß jetzt aber wieder auch warum. Je ein schlechtes Pathosgedicht macht mir zwei gute Geschichten kaputt. Schwierig so mit einem Plus aus dem Abend zu gehen, aber trotzdem immer schön, wenn Menschen so einander zuhören.

Der Poetry Slam wird aus einem Topf für Kultur im ländlichen Brandenburg finanziert, dabei kommen die meisten Gäste aus Berlin.  Als Beweis, dass es sich um eine öffentliche Veranstaltung handelt, muss ein Flyer bei der Landesregierung eingereicht werden. Als Beweis, dass es sich um das ländliche Brandenburg handelt, können wir unser gemietetes Auto nicht abschließen, weil man dafür Handyempfang braucht.

26.08.2022

Fünf Tipps, wie du dein Zimmer in eine Tonkabine verwandeln kannst:

  1. Hänge mit Decken ab, was mit Decken abhängt werden kann. Freie Oberflächen und Ecken müssen plüschen.
  2. Verteile deine Dreckwäsche im Raum. Der Schall soll auf dem Weg vom Mund ins Mikrofon keine Umwege machen wollen.
  3. Schließe alle Fenster und stopfe ein Handtuch in den Schlitz unter der Tür. Ohne Sauerstoff werden auch unerwünschte Geräusche müde.
  4. Trenne deine elektronischen Geräte vom Strom und verstecke sie. Dein Aufnahmegerät soll von ihrem Anblick nicht abgelenkt werden.
  5. Ziehe dich aus und lasse deinen Schweiß zwischen die Dielen tropfen. So quellen sie auf und quietschen nicht mehr so laut.

25.08.2022

Bert liegt neben Gisela und genießt die postkoitale Müdigkeit, doch der Situation fehlt ein Konflikt. Da beginnt es von der Balkontür her zu scheppern, als würde jemand wild auf die Regenrohre trommeln oder an den Blumenkästen rütteln. Bert und Gisela schrecken auf. Ist das ein Einbrecher? Ein wahnsinniger Gewalttäter, der gleich durch das Glas bricht? Sie warten auf ein Klirren, aber Bert ist das zu viel der Aufregung und er entscheidet sich, dass er doch lieber schlafen will, auch ohne dass noch etwas passiert. Da hört das Geräusch genauso plötzlich auf, wie es angefangen hat und kurz darauf haben es Bert und Gisela auch schon wieder vergessen.

24.08.2022

Ich dachte, mir wäre der Friseurtermin wichtig gewesen, weil ich bald auf einer Hochzeit eingeladen bin, aber es lag daran, dass heute die Sommerpause der Therapiegruppe endete. (Der Mystiker auf dem Berg sagt „Mit schönen Haaren kann dir niemand wehtun“ und rasiert sich seine ab.)

Beim betretenen Schweigen der ersten Minuten entdecke ich zwei rötliche Mückenstichüberbleibsel an meinen Armen. Beide haben den exakt gleichen Abstand zu jeweils einer Narbe – etwa einen Daumen breit. Die eine Narbe ist rundlich und stammt von einem Fahrradlenkerunfall. Der Griff war zu dem Zeitpunkt schon eine ganze Weile lose und an einem Regentag flutschte er schließlich vom Lenker, worauf mein Arm automatisch zurückschnellte und sich die scharfe Metallkante in meinen Unterarm bohrte. Die zweite Narbe ist länglich und das Produkt eines heißen Backblechs und einer der Gründe, warum ich in der Gruppe bin. Aus der Verbrennung wurde nämlich nur eine Narbe, weil ich in einer stressigen Situation, in der ich eh schon das Gefühl hatte, mit meinem Hunger zu viel Raum einzunehmen, nicht auch noch durch meine Verletzung die Aufmerksamkeit auf mich ziehen wollte und sie deshalb mit zusammengebissenen Zähnen kleinredete.

Als das Gespräch dann doch Anschluss findet, sprechen wir über schwierige Anfänge und das Warten darauf. Dass Narben auch daran erinnern, dass alles schon angefangen hat, fällt mir erst auf dem Weg nach Hause auf. Die Autokorrektur macht daraus schön.

23.08.2022

Im Drogeriemarkt bin ich heute der einzige Mann, Geschlecht gerettet, ach ne, da ist noch einer bei den Süßigkeiten, denke ich selbstgerecht zwischen Putzmitteln und Staubsaugerbeuteln.

Ich bin in der Mittagspause hergeeilt, weil es die einzige freie Zeit am Tag ist, um in aufmerksamer Voraussicht Vorräte aufzufüllen, bevor sie zur Neige gehen und den emotionalen Frieden der Familie gefährden. Aber das ist natürlich gelogen. Ich bin arbeitslos, kinderlos, habe aus Versehen meinen Gürtel mitgewaschen und bekomme jetzt die Flecken nicht mehr aus dem Hemd.

Auf dem Campingplatz am Wochenende habe ich drei verschieden Varianten des „Meine Frau ist der Boss“-Shirts gesehen. Meine Generation geht mit der Scham über ungerechte Arbeitsaufteilung anders um. An dieser Stelle würde sich das TikTok Video dann wiederholen.

22.08.2022

Gedankenkaskade in Turnschuhen:

  1. Wer kommt eigentlich auf die geschmacksverirrte Idee, sich solche LED Streifen in die Küche zu hängen? Das passiert ja nicht einfach so. Diese Anordnung und vor allem diese Farben hat sich jemand genau so ausgesucht! Das war eine ästhetische Entscheidung!
  2. Zwischen dem letzten und dem nächsten Schritt, zwischen Bewertung und Bedeutung liegt die Freude an den Farben in der Dunkelheit. Wie schön, auch nach Sonnenuntergang noch bunte Lichter sehen zu können. Wie schön, dass sie jemandes Stolz sind. Wie schön nach dem ersten Gedanken noch diesem begegnet zu sein.
  3. Hör auf anekdotenspirituelle Podcasts zu hören und geh mal lieber nach Hause und kümmere dich ums Abendessen. Und denk dran, noch genug zu trinken!
  4. Oh, eine Katze!