Jahr: 2022

13.11.2022

Weil die Sorgen vor dem Unbekannten vage bleiben, sorge ich mich stattdessen um das Konkrete. Ist noch Hafermilch da? Bin ich nur nervös, oder habe ich mich heute einfach nur noch nicht bewegt? Sollte ich zum Spazieren nicht doch lieber eine Mütze mitnehmen?

Das hilft, aber so sehe ich auch alles aufgeschobene um mich herum. Den Knopf vom Bettbezug, der wieder angenäht werden muss, das Loch in der Wand, für das ich doch noch Spachtel in der Tube besorgen wollte und im Spiegel den nicht gebuchten Friseurtermin.

Normalerweise biete ich auf dem Sofa meine Armbeuge an, aber an manchen Tagen ist auch mein Kopf so voll, dass es mehr als ein Kissen braucht, um ihn zu halten. Mein rechter, rechter Platz ist frei, ich habe uns schon Tee gemacht, passt die Lautstärke so? Gut. Eine schöne Schulter haben sie da, ob ich mich da vielleicht anlehnen dürfte?

12.11.2022

Erst hören wir nur Schüsse, später finden wir auf einem Feldweg auch Blutspuren. Als wir in der Dämmerung wieder in das Dorf zurückkehren, von dem uns der Rufbus zurück zum Bahnhof bringen soll, haben sich die Jäger gerade hinter den erlegten Tieren aufgereiht. Dafür, dass so viele Menschen an einer Treibjagd beteiligt sind, ist das Ergebnis aber etwas ernüchternd: Zwei Wildschweine, zwei Füchse und ein Reh liegen da am Lagerfeuer.

Im Dorfkern reihen sich Kinder mit Laternen auf. Der St. Martinszug wird von einem Mann mit Dudelsack angeführt. Ich erkenne in dem, was er spielt, keine Martinslieder, aber manche der Kinder tragen auch Kostüme. Halloween, Karneval, St. Martin, egal, Hauptsache laut und festlich. Die Jagdhörner stimmen dem zu und dann machen auch die Hunde mit. Unser Busfahrer versteht leider nicht genug Deutsch, um ihm zu erklären, was hier gerade passiert. So ganz sicher sind wir uns aber auch nicht.

11.11.2022

Beim Digitalkreativkulturwirtschaftstreffen geht es irgendwie auch um Drohnen, aber vielleicht, weil die auch mit Computern gesteuert werde, nehme ich an. Hersteller von intelligenten Kühlschränken sind jedoch nicht vertreten, was ich schade finde, aber an den meisten Ständen werden sowieso eher Konzepte erklärt. In einem der Vortrag geht es dann um Regionalität. Die sei sehr wichtig und ziehe Mitarbeiter an, denen das auch wichtig sei, also die richtigen und zumindest solange die Lust auf die Region hätten. Der freundliche lokale Tropenholzhändler mit den tollen Feiertagsangeboten im Geschäft an der Kreuzung da hinten links sei – wenn ich das jetzt richtig verstanden habe, entschuldigen Sie bitte, Regionalität ist ja kein Selbstzweck– also auch regional, will ich noch fragen, aber da ist leider keine Zeit, nach einer kurzen Pause geht es gleich mit unserem nächsten Speaker weiter, einfach sitzenbleiben.

10.11.2022

7 vs. Wild vs. Teetassenbalancieren mit eingeschlafenem Arm, während ich dich davon abhalte die ganze Nacht mit Recherchen zu Überlebenstipps im deutschen Herbstwald zu verbringen.

09.11.2022

Veränderung liegt in der Luft, im Licht des Vollmonds erkenne ich es ganz deutlich. Als ich nach Hause komme, muss ich handeln, um meine Bereitschaft zu signalisieren, also tausche ich das Hintergrundbild meines Smartphones aus. Seit 2016 hatte mir da der Geist von Hamlets Vater unter einem Bettlaken heraus den Mittelfinger gezeigt. Ich hatte das Bild während der Proben für eine theatrale Inszenierung der Sekundärliteratur des Stücks mit einer Einwegkamera gemacht und den Abzug auf einem Bürodrucker gescannt. Seitdem ordnete ich meine Apps um ein Gespenst herum an und immer wenn ich ein neues Gerät in Betrieb nahm, hatte Google das Bild immer schon für mich umgezogen. Mittlerweile weiß ich weder in welcher Kiste das Foto sein könnte, noch wo die Datei gespeichert ist. Es ist selber zum Gespenst geworden, und auch deshalb konnte und wollte ich es nicht loslassen.

Mein neuer Hintergrund ist ein Bild von Caspar David Friedrich – Auf dem Segler. Das Bild zeigt von hinten betrachtet ein Paar auf dem Bug eines Segelschiffs. Im Hintergrund ist im Dunst die Silhouette einer Stadt zu erkennen. Es stammt aus einer Phase, in der er nicht mehr nur einsame Männer in Landschaften malte. Das Ziel des Schiffs, die Stadt, ist zwar traumhaft entrückt, aber erreichbar. Die beiden genießen den Ausblick, aber bewegen sich darauf zu.

08.11.2022

Ich recherchiere zur Geschichte der Blondinen(witze) und endlich zahlt sich der jahrelange Lateinunterricht aus. Ich öffne ein PDF und identifiziere korrekt: Ja, das ist Latein.

Glossarium eroticum linguae latinae sive theogoniae, legum et morum nuptialium apud Romanos. Explanatio nova, scheint als Titel erstmal unnötig lang, aber 1908 konnte man sich eben noch nicht durch einen Klick das Inhaltsverzeichnis anzeigen lassen, da musste alles in den Titel. Der Zusatz Explanatio nova hingegen ist reiner Clickbait, quasi ein Spiegel-Bestseller Aufkleber. Es gibt übrigens auch einen Thesaurus Eroticus linguae latinae, sive Theogoniae, Legum et Morum Nuptialium apud Romanos von 1833, ebenfalls mit dem Zusatz Explanatio Nova, aber ich will natürlich lieber auf dem allerneusten Stand sein, zwischen 1833 und 1908 ist im alten Rom viel passiert. Alles weniger als Explanatio Novissima lasse ich nicht gelten.

07.11.2022

Christoph Schlingensief und Co. haben mich auf Nathan Fielder vorbereitet, aber ich schicke den Tweet nicht ab, weil ich nicht will, dass jemand nachfragt, wie ich das jetzt so ganz genau meine, nicht nur intuitiv und weil es sich gut anhört, aber für aufrichtige Fragen und Antworten habe ich heute nun wirklich keine Zeit, sorry, muss los, du weißt ja, wie das ist nach der Zeitumstellung, da muss man die Sonnenstrahlen nutzen, wie sie vom Himmel fallen.