11.02.2019

Zu allen Seiten der großen Kreuzung am Potsdamer Platz strömt unaufhörlich der Verkehr, grölende Motoren ermahnen, hier nicht tief durchzuatmen. Busse spucken unentwegt Touristen aus, wie magnetisch angezogen flitzen sie mit der Kamera im Anschlag zu den sechs fein drapierten Mauersteinen und beginnen die Jagd auf ein gutes Bild. Überall wild fuchtelnde Hände, die Instruktionen zur perfekten Positionierung geben. Nur mit Geschick und Ausdauer gerät kein Unbefugter in das Motiv. Grüne und rote Phasen dirigieren die hetzenden Menschenmassen über das Herrschaftsgebiet der Autos. Sobald sie auf sicherem Fußgängerterrain angekommen sind, laufen sie unkoordiniert kreuz und quer über den weitläufigen Platz. Der Blick in den Himmel verfängt sich in den aufblitzenden Glasfassaden. Wir erblicken das DB-Logo am obersten Zipfel, orientieren uns in diese Richtung und gehen am gewaltigen Sony Center entlang die Potsdamer Straße hinunter. An der nächsten Kreuzung weitet sich die Straßenschlucht zum Tal. Vor uns liegt eine unaufgeregte Ebene aus Grünstreifen, Baustellen und Parkplätzen. Darin ruht die St. Matthäus Kirche. Sie ist von Dienstag bis Sonntag zwischen 11 und 18 Uhr geöffnet. Die unerwartete Weite zwischen den Architekturgiganten am herangerückten Horizont lässt den Weg zu ihrem Eingang länger erscheinen als er tatsächlich ist. Wir schlüpfen durch die Glastür links vom großen Portal. Im kleinen Vorraum stapeln sich auf einem Schreibtisch Broschüren und Prospekte. Das Kirchenschiff selbst ist weiß und lichtdurchflutet. Auch im Winter ist es hier warm. Nach dem Krieg wurde nur die Fassade historisch rekonstruiert, der Innenraum ist weiß und schlicht gestaltet, aber ohne einzuschüchtern. Anstelle eines Kreuzes hängt über dem Altar ein zeitgenössisches Gemälde. An den Wänden und selbst auf den Emporen hängen große Bilder. Dazwischen vereinzelt Skulpturen. Wir schlendern zum Altar. Plötzlich bemerken wir den Klang unserer Schritte auf dem Steinboden. Dann die weichen Polster der Bänke und Stühle. Wir setzen uns und verharren. Der Raum gibt sich als Ort der Andacht zu erkennen, ohne auf seine Religiosität zu beharren. Wer hier nach Stille sucht, braucht sich nicht zu rechtfertigen.

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