Ich kaufe mir einen großen Kürbis und versuche dabei nicht nach Halloween, sondern nach Einkochen auszusehen. Dafür stecke ich mir zwei Stangen Zimt hinter die Ohren und Sternanis ins Haar. Das sieht aber leider auch nach einer Verkleidung aus, weshalb ich sicherheitshalber noch mehrere Liter Essig mit aufs Band lege. Wenn ich mich verkleiden müsste, dann vielleicht als sexy Martin Luther, mit Samtbarett und nicht viel darunter, oder mit langer Robe und Netzstrumpfhosen, aber dieses Jahr bin ich nur zu einer St. Martin Party eingeladen. Wenn es weiter so warm bleibt, ist das mit dem halben Mantel kein Problem.
Monat: Oktober 2022
30.10.2022
Ich habe keine Lust, mich mit Mastodon zu beschäftigen, aber auf Twitter zu bleiben fühlt sich zunehmend nach Verrat an. Auf Tumblr und zwischen den Blogs war das Internet noch in Ordnung, sage ich laut, aber das ist natürlich Quatsch und wie zum Beweis stimmt mir niemand im Großraumabteil zu. Im November wird alles besser, mehr Sport, mehr Geld, mehr Tanzen, weniger Zucker und aufgeräumt wird auch – vielleicht auch das Internet. Alles muss raus. Ein Flohmarkt für Plattformen und veraltete Geschäftsmodelle und was nicht recycelt werden kann, kommt am Abend in die Feuertonne.
29.10.2022
- Die Sache mit den Reformationsbrötchen nachlesen.
- Bäume bestimmen, Fußballfans ausweichen und Giraffen zählen.
- Auf ein Kaffee-Fahrrad aufpassen.
- Das Essen vergessen (und in ein mittelmäßiges Restaurant flüchten).
- Den Albtraumvorhersager im Museum der bildenden Künste befragen.
- Applaudieren und Selfies machen.
- Mit frischem Schleim in der Tasche ins Gästebuch tippen.
- In den Osten zu den singenden Dinos wandern.
- Tortilla Chips mit Dip an der Straßenecke essen.
- Wieder applaudieren und wieder Selfies machen.
- Die Puppenspieler:innen nach ihrer Bettkantentauglichkeit sortieren.
- Auf die Tram mit dem kaputten Ticketautomaten wetten.
28.10.2022
Nach dem Stück kommen die neun Schauspielstudierenden ins Foyer zum Nachgespräch. Der Dramaturg sagt, dass es nur stattfindet, wenn mehr Leute dableiben als auf dem Podium sitzen, weshalb ein Paar dann doch bleibt. Niemand hat eine Frage, aber weil die Schauspieler:innen eh noch warmgeredet sind, sprechen sie einfach weiter. Über die Stimmung heute, über wer wen repräsentieren darf und kann und wie sich das anfühlt und über die Überforderung sich in einem Text zurechtzufinden, der unmöglich sein will. Als ich bereits ein zweites Mal heimlich auf die Uhr gesehen habe, gibt es dann doch einen Kommentar aus dem Publikum. Ein erschreckend junger Mann hat jetzt auch etwas zum Thema kulturelle Aneignung zu sagen, aber es ist schnell deutlich, dass er das Problem nicht wirklich verstanden hat. Der Rest des Raums eignet sich stumm darauf, den Kommentar zu ignorieren und zu lächeln. Ein Schauspieler sagt als Erwiderung etwas mittelmäßig lustiges, der Moderator scherzt, dass das ja vielleicht ein Schlusswort sein könne und ich beginne zu klatschen. Alle klatschen erleichtert mit.
27.10.2022
Wieder ein Tag, an dem sich Menschen an die Glasscheiben vor berühmten Gemälden geklebt haben. Das finde ich super, twittere es aber lieber nicht, weil ich meine gute Laune nicht gefährden will. Dass die Aktivist:innen die Bilder nicht beschädigen, geht in der Berichterstattung oft unter, in den Kommentarspalten sowieso und selbst wenn sie beschädigt werden, denke ich, dann ist das ja wenigstens mal eine Herausforderung für die Restaurator:innen, aber ich führe den Satz dann doch lieber nicht weiter, denn wie gesagt, noch habe ich gute Laune. Glas ist eben durchsichtig. Hierbei handelt es sich wahrscheinlich sogar um sorgfältig poliertes und entspiegeltes Glas. Das ist auf Fotos natürlich schwer zu entdecken. Genau wie der Vogel des Jahres. Vom Braunkehlchen gibt es zwar schöne Bilder, aber in der Natur ist es immer seltener zu finde. Das liegt nicht nur an seiner Tarnfarbe, sondern vor allem am Menschen, genauer gesagt an der Landwirtschaft und den trocken gelegten Lebensräumen des Braunkehlchens. Ich hatte ja für das Teichhuhn gestimmt. Nur damit beides mal festgehalten ist.
26.10.2022
Kaum zehn Minuten auf dem Tempelhofer Feld und schon passiert wieder alles gleichzeitig, dabei will ich nur kurz in der Sonne sitzen. Links von mir eine Sportgruppe, rechts ein Unfall mit E-Scooter und ein Vater, der entschieden hat, dass heute der Tag ist, an dem er seinem Sohn im Kindergartenalter den Unterschied zwischen dem gleichen und demselben Krankenwagen beibringen muss. Dass er deren auftauchen mit „Oh, jetzt gibt es etwas zu sehen“ kommentiert, während er seine dritte Zigarette dreht, macht ihn nicht unbedingt sympathischer, wobei so ein Krankenwagen für ein Kind natürlich sehr aufregend ist, da muss ich ihm recht geben. Noch aufregender wäre es nur gewesen, wenn der eine Krankenwagen von einem Bagger über den Zaun gehoben und der andere von einem Hubschrauber abgesetzt worden wäre, aber so denken dann doch nur Erwachsene. Ein junger Amerikaner spricht mich an und fragt, ob er mich fotografieren darf. Ich kapituliere und werde Teil der Szene. Einfach nur in der Sonne zu sitzen reicht nicht, man muss es auch überzeugend aussehen lassen können.
25.10.2022
Bewerbungsgespräch mit Blick auf ein abstraktes Dschungelgemälde. Ich spiele nervös an meiner Machete herum, weil ich genügend Naturfilme gesehen habe, um zu wissen, was im Unterholz lauert und verstecke die Hände schnell unter dem Tisch, als ich einen Blutstropfen an einem meiner Finger entdecke. Ich will einen Eindruck hinterlassen und keine Flecken. Die finde ich dafür später auf meiner Hose. Bei dieser Stelle wäre zwar Einsatz gefordert, aber möglichst ohne Handgreiflichkeiten und Verletzte. Bei Netzwerken denke ich vor diesem Bild an Wurzeln, Pilze und Ameisenstraßen. Bunte Flecken deuten Vögel und Schmetterlinge an. Mit denen wäre ich gerne besser bekannt. Tut mir leid, ich habe gleich noch einen Termin mit einem Tukan zur Unterholzstrategieplanung drüben bei der Boquila trifoliolata. Das ist eine Pflanze, die in der Lage ist, mit ihren Blättern das Aussehen der sie umgebenden Blätter anderer Pflanzen nachzuahmen. Das hat ihn überzeugt zu kommen, ich konnte es erst selber nicht glauben.